Klientelpolitik oder ein „Angriff aufs Kulturland?”
ADVISORY 27.02.2015

Klientelpolitik oder ein „Angriff aufs Kulturland?”

Top-Agenda zur Steuerreform (1) Wie soll die vielzitierte „Entlastung” (gegen-)finanziert werden?

Kino-, Kultur- und Vergnügungsbetriebe kritisieren eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung scharf.

Wien. Scharfe Kritik an der immer wieder ins Spiel gebrachten Mehrwertsteuererhöhung üben die Ver-treter des Fachverbandes der Kino-,Kultur- und Vergnügungsbetriebe in der Wirtschaftskammer.

Eine steuerliche Mehrbelastung sei ein Angriff auf das Kulturland Österreich und stelle die betroffenen Branchen vor gewaltige Her-ausforderungen – bis zur Existenzbedrohung, sind Fachverbandsobmann Heimo Medwed, Kino-Sprecher Christian Dörfler, Theater-Sprecher Gerald Pichowetz und der Sprecher der Kartenbüros, Franz Lechner, einig.

Schon am Limit

Medwed – er ist auch Sprecher der Schausteller – hält die aktuelle Diskussion über erhöhte Mehrwertsteuersätze für einen Schildbürgerstreich und für einen Anschlag auf das österreichische Kulturgut der Jahrmärkte, Volksfeste und Kirtage, das von Schaustellern, Zirkussen oder Vergnügungsbetrieben seit dem Mittelalter gepflegt wird. „Es ist eine Grundsatzentscheidung der Koalition, ob man in Zukunft in diesem Land den Anspruch hat, Tradition und Kultur zu erhalten, oder ob die politisch Verantwortlichen es in Kauf nehmen, dass Gewerbetreibende in den Ruin getrieben werden und ganze Berufsgruppen von der Bildfläche verschwinden.”„Ganz zu schweigen von der Wertschöpfung, die gerade in den ländlichen Regionen durch das drohende Aus solcher Traditionsfeste und Veranstaltungen verloren ginge”, warnt Medwed massiv vor jeder weiteren Belastung. „Die Branche ist am Limit. Wir können eine steuerliche Mehrbelastung unmöglich abfedern, aber auch nicht an unsere Besucher weitergeben, denn Familien und Jugendliche können sich höhere Ausgaben schlichtweg nicht mehr leisten.” Zudem sei eine etwaige Mehrwertsteuererhöhung eine Mogelpackung, so Medwed, da man den Menschen einerseits mehr Geld verspreche, es ihnen auf der anderen Seite wieder aus der Tasche ziehe.

Mit dem Taschengeld?

Auch Kinosprecher Christian Dörfler befürchtet große Wertschöpfungsverluste durch eine mögliche Steuererhöhung und lehnt diese entschieden ab. „Der Großteil der Kinobesucher ist zwischen 14 und 25 Jahre alt, also Menschen mit keinem bis geringem Einkommen. Offenbar will die Regierung mit dem Taschengeld von Schülern und Studenten die Steuerreform gegenfinanzieren”, kritisiert der Vertreter der 138 heimischen Kinos. „Österreich ist bei der Umsetzung von EU-Richtlinien – unabhängig von so mancher Sinnhaftigkeit derselben – häufig Musterschüler. Warum man gerade bei Steuersätzen in Deckung geht, ist völlig unverständlich.” Denn die Europäische Union empfehle für Kinotickets ganz klar einen ermäßigten Steuersatz, an den sich etwa Österreichs Nachbarländer Deutschland mit 7% und Italien mit 10% halten.

Deutliches „Anhebungs-Ja”

Völlig anderer Meinung ist dagegen der Sprecher des bürgerlichen Thinktanks „Wei(s)se Wirtschaft”, Peter Brandner. Während sich die Koalition von einer Anhebung der Mehrwertsteuer zuletzt wiederdistanziert hat, sieht er hier großenSpielraum und verweist auf entsprechende Empfehlungen von OECD und EU-Kommission: Österreich liege bei der Belastung des Faktors Arbeit im EU-Vergleich nämlich an dritter, bei den Konsumsteuern aber nur auf dem 13. Platz. Brandner plädiert für eine deutliche Anhebung der Mehrwertsteuer auf 22%, einen niedrigeren Steuersatz soll es nur noch auf Mieten (11%) geben. Im Gegenzug sollen Sozialleistungen erhöht und Familien begünstigt werden.Dass die „untersten 20%” der Haushalte mit seinem Modell verlieren würden, gesteht Brandner zwar ein. Ein Argument gegen eine Mehrwertsteuer-Anhebung sieht er darin aber nicht. Vielmehr sieht er begünstigte Mehrwertsteuersätze für Bücher, Hotel-Übernachtungen, Lebensmittel, Zeitschriften oder Blumen als „Klientelpolitik” zugunsten der jeweiligen Branchen. Zum Ausgleich für die Anhebung schlägt er höhere Sozialleistungeninklusive Mindestsicherung vor, denn als Umverteilungs-Instrument sei die Mehrwertsteuer schlicht „untauglich”.(red)

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