Digital Health verändert das Gesundheitswesen
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HEALTH ECONOMY Martin Rümmele 18.11.2016

Digital Health verändert das Gesundheitswesen

Informationstechnologie im Gesundheitswesen wird nicht nur die Medizin verändern, sind Experten überzeugt.

••• Von Martin Rümmele

Zukunftsexperten zeigen sich in neuen Studien überzeugt, dass der Einsatz von Informationstechnologie, die Vernetzung von Daten, der Einsatz von Social Media und nicht zuletzt die Verknüpfung mit dem Human Genom-Projekt das Gesundheitswesen, die Gesundheitsbranche und nicht zuletzt auch die Gesellschaft gesamt in den kommenden Jahren massiv verändern werden. Davon zeigte sich dieser Tage auch die Analytikerin Eva-Maria Kirchberger von der Organisational Behaviour Design Imperial College Business School in London beim 10. qualityaustria Gesundheitsforum in Wien überzeugt. Kirchberger berät Unternehmen aus den verschiedensten Branchen zum Thema Big Date, Service Design und künftigen Trends.

Ihre Prognose: Bis 2030 wird jeder Mensch ein eigenes Gesundheitsportal haben, das alle Interaktionen mit einem Arzt, einem Krankenhaus, einer Apotheke und so weiter erfasst. In Zukunft werde von Patienten ein 360-Grad-Profil erstellt, inklusive Genomanalyse, wodurch Krankheiten mithilfe einer Datenanalyse bereits im Vorhinein erkannt werden könnten. Diagnosegeräte machen auch gleich die Therapie und passen sie individuell an, wie etwa ein Blutzuckermessgerät, das auch die Insulingabe dosiert.

Prävention im Fokus

„Der Trend geht hin zur Prävention von Krankheiten. Es wird künftig vielmehr um die Erhaltung der Gesundheit, als um die Heilung von Krankheiten gehen”, prognostizierte Kirchberger. Dazu analysieren Sensoren die Umwelt und geben, passend zu den genetischen Risiken, individuelle Tipps. „Unternehmen arbeiten längst am entsprechenden Design, um Menschen dafür zu begeistern. Beispiele sieht man schon bei Facebook-Gruppen, die gemeinsam wetteifern, wenn es darum geht, Schritte zu zählen. Es wird auch Spiele geben, bei denen Menschen in der Therapie begleitet werden, oder überhaupt bei Ernährung und Bewegung. Ähnlich wie das in den 90er-Jahren beim Elektronikhaustier Tamagotchi der Fall war, nur dass es jetzt um den eigenen Körper geht, den man betreut.” Die Folge: Der Zugang zum eigenen Körper erfolge nicht mehr direkt, sondern über die Technik, ist Kirchberger überzeugt.

Mensch und Technik

Ähnliches beobachtet derzeit – unabhängig von der jüngsten Veranstaltung in Wien – auch das deutsche „Zukunftsinstitut” in einer neuen Studie. „Digital Health bedeutet mehr als Dr. Google. Im Fokus steht die Symbiose von Mensch und digitaler Technologie”, heißt es dort. Das Konzept des mündigen Patienten sei nicht neu, doch erst das Internet ermögliche den Wandel vom unwissenden, sein Leid erduldenden Patienten hin zum ermächtigten, informierten Gesundheitskonsumenten, sagt auch Florian Kondert, Digital-Experte des Zukunftsinstituts. Schon jetzt würden sich 70% der Internetnutzer in Deutschland im Internet über gesundheits­relevante Themen informieren.

Die Digitalisierung vervielfache die Möglichkeiten, die Gesundheit zu managen und zu verbessern; gleichzeitig wirkt sie auch selbst auf den Gesundheitszustand des Menschen ein und verändert Denken und Handeln, Körper und Geist. Im Zusammenspiel von Mensch und Technologie gehe es vordergründig um sinnvolle Symbiosen, die einen gesundheitlichen Mehrwert für den Menschen bieten. „Roboter werden oder sind bereits Hilfsassistenten dort, wo sie die Präzision des Menschen übertreffen, digitale Implantate werden vor allem verloren gegangene Körperfunktionen ersetzen können. Die digitale Lebenswelt wird zu einer Lebenswelt, die die Gesundheit fördert, statt sie zu schädigen”, so das Fazit des Experten.
In der Bewertung dieser Entwicklungen ist Kirchberger allerdings nicht unbedingt optimistisch: Man müsse hier auch die Kehrseiten sehen. Und dazu gehöre etwa, dass die Entwicklungen vor allem die Eliten betreffen werden und auch von diesen forciert werden. „Das ist das Grundprinzip bei diesen Entwicklungen: Die Eliten machen die Regeln. Wer versteht, wie das System funktioniert und wie es sich manipulieren lässt, macht die Regeln.”
Die Folge werde gerade im Gesundheitsbereich sein, dass manche Menschen Zugang zu Informationen, den besten Therapien und Ärzten haben, und es für andere ein Notfallangebot gebe. „Die sozialen Sicherungssysteme werden einen halt gerade am Leben erhalten.” Und das könnte durchaus viele Menschen betreffen, entfallen doch bereits jetzt etwa 80% der Gesundheitsausgaben auf 20% der Menschen – vorwiegend Alte und chronisch Kranke. Und dieser Gruppe könnte es durchaus passieren, dass sie von den neuen Entwicklungen im Bereich Digital Health ausgeschlossen bleiben.

Revolution am Arbeitsmarkt

Ein anderes Problem, das nach Ansicht Kirchbergers entstehen wird und bereits läuft, ist die Revolution am Arbeitsmarkt. Viele Berufe und ganze Branchen werden wegfallen. „Wir sehen schon jetzt, dass eine Gruppe nach der anderen fällt – von der Industrie über die Taxifahrer und den stationären Handel bis zu Apotheken, wenn der Versandhandel von Medikamenten wirklich geöffnet wird.” Wie lange das dauert? Das sei von Branche zu Branche und Land zu Land unterschiedlich, glaubt Kirchberger. „Es kann aber sehr schnell gehen.” Natürlich gebe es auch Gegenbewegungen wie die „Sharing Economy” und neue Jobs in Bereichen, an die man heute noch gar nicht denke. Insgesamt werde es aber wohl 50 Jahre dauern, bis es wieder so viele Jobs gebe, wie jetzt verloren gehen– mit zum Teil auch gravierenden Folgen für die Sozialsysteme, die sich derzeit über Abgaben auf Löhne und Gehälter finanzieren. Die Folge sei eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wie man sie in manchen Ländern bereits beobachte: Eliten, die Geld und damit Zugang zu Leistungen und Informationen haben, steuern das System. Die anderen haben keinen Job. Kirchberger: „Man muss klar sagen, dass uns eine Datenrevolution bevorsteht, wo niemand wirklich weiß, wie es ausgeht.”

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