„Viele Zulieferer sind ­erpressbar geworden!”
© APA/AFP/Miguel Riopa
MOBILITY BUSINESS Redaktion 16.09.2016

„Viele Zulieferer sind ­erpressbar geworden!”

Vertriebsberater Peter Schreiber: Zwischen Herstellern und Zulieferern herrscht ein gefährliches Machtgefälle.

••• Von Moritz Kolar

Ähnliche Marktstrukturen wie in der Automobilindustrie existieren in vielen Branchen. Deshalb sind auch dort Konflikte wie zwischen Volkswagen und seinem Zulieferer Prevent gang und gäbe; sie werden meist nur nicht so öffentlich ausgetragen. Das weiß der Vertriebsberater Peter Schreiber, Inhaber der B2B-Vertriebsberatung Peter Schreiber & Partner in Ilsfeld bei Heilbronn.


medianet:
Herr Schreiber, Ihre Vertriebsberatung arbeitet auch im Automotive-Sektor. Wo sehen Sie die Ursachen für den Konflikt zwischen VW und seinem Zulieferer Prevent?
Peter Schreiber: In den Marktstrukturen. Auf der einen Seite stehen die knapp ein Dutzend Hersteller weltweit und auf deren anderen Seite Tausende von Zulieferern, die mit diesen Herstellern und deren Top-Lieferanten Geschäfte machen möchten. Diese Struktur führt zu Interessengegensätzen und Konflikten.

medianet:
Warum?
Schreiber: Weil die Lieferanten, die auf der jeweils nächsthöheren Stufe der Lieferpyramide Teilelieferant, Komponentenlieferant, System-/Modullieferant und Hersteller stehen, stets die Auswahl zwischen einer Vielzahl von Lieferanten haben. Daraus resultiert ein Machtgefälle. Solche Strukturen gibt es aber nicht nur in der Autoindustrie; sie existieren, wenn auch nicht so stark ausgeprägt, auch in anderen Branchen – etwa im Maschinenbau oder im Baugewerbe.

medianet:
Was dazu führt, dass Lieferanten von ihren Kunden im Extremfall erpressbar sind?
Schreiber: Das Wort erpressbar würde ich in diesem Zusammenhang ungern gebrauchen, obwohl dies faktisch viele Teile- und Komponentenlieferanten sind. Auch moralischen Kategorien wie ‚böse Hersteller' und ‚arme Lieferanten' sind nicht zielführend.

medianet:
Weshalb?
Schreiber: Weil letztlich alle Unternehmen in einem scharfen Wettbewerb stehen und für ihre Kunden der Preis ein zentrales Kaufentscheidungskriterium ist. Deshalb ist es eine Kernaufgabe des Einkaufs jedes Unternehmens, möglichst preiswert einzukaufen. Also ist es auch seine originäre Aufgabe, auszuloten: Was ist für uns noch drin, wenn wir zum Beispiel den Lieferanten wechseln? Oder den Lieferprozess neu strukturieren? Deshalb bezweifle ich auch, dass zum Beispiel die großen System- und Modul- sowie Komponentenlieferanten weniger hart mit ihren Zulieferern verhandeln als dies die Autohersteller tun. Wenn sie es täten und beim Einkauf nicht auch ihre Marktmacht nutzen würden, nähmen ihre Einkäufer, überspitzt formuliert, ihren Job nicht wahr. Dafür dass im Markt ein gewisses Fairplay herrscht, sind die Kartellbehörden und Gesetzgeber zuständig. Dass die Unternehmen innerhalb dieses Rahmens ihre Marktposition und ihre Größenvorteile nutzen, darf ihnen niemand vorwerfen.

medianet:
Dessen ungeachtet klagen viele Industriezulieferer, ihre Kunden würden ihnen mit harten Vorgaben zunehmend die Luft zum Atmen nehmen.
Schreiber: Das ist so. Doch daran sind die Zulieferer zum Teil selbst schuld.

medianet:
Inwiefern?
Schreiber: Lassen Sie mich das an einem Beispiel aus dem Einzelhandel erläutern. Dort gibt es so starke Marken wie Nutella, Maggi und Coca-Cola, die der Einzelhandel nicht auslisten kann, selbst wenn er dies gern täte. Denn die Kunden erwarten, wenn sie in ein Einzelhandelsgeschäft kommen, dass es dort Nutella und Coca-Cola gibt. Entsprechend selbstbewusst können die Anbieter dieser Marken in den Verhandlungen mit den Handelsketten agieren. Ziel jedes Lieferanten muss es daher sein, dass er für seine Zielkunden nahezu unverzichtbar wird, weil er ihnen erkennbar einen Mehrwert bietet. Gelingt dies einem Zulieferer nicht, wird er austauschbar und sein einziges Kaufargument ist der Preis.

medianet:
Können auch die großen Hersteller aus VWs Zuliefererkonflikt etwas lernen?
Schreiber: Selbstverständlich. Für die meisten produzierenden Unternehmen gilt: Sie können ihre System-, Komponenten- und oft auch Teilelieferanten, anders als die Lieferanten von Büroklammern und Kugelschreibern, nicht von heute auf morgen austauschen. Denn bei einem Lieferantenwechsel ist oft ein Umrüsten der Produktion oder ein Schulen und Einarbeiten der Mitarbeiter nötig. Das heißt, der Lieferantenwechsel hat eine gewisse Vorlaufzeit, in der der Hersteller noch vom aktuellen Lieferanten abhängig ist. Also muss er darauf achten, dass der Interessengegensatz ‚Ich als Hersteller möchte den Lieferanten ganz oder teilweise austauschen' und ‚Ich als Lieferant möchte weiterhin im gewohnten Umfang liefern' nicht zu einem heißen Konflikt wird, und der Lieferant, der aus seiner Warte wenig zu verlieren hat, dem Hersteller zum Beispiel die Produktion lahmlegt.

medianet:
Dieses Problem­bewusstsein fehlte bei VW?
Schreiber: Zumindest hatte ich als Außenstehender den Eindruck, das Konfliktpotenzial, das dieser Interessengegensatz enthält, wurde bei VW unterschätzt.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL