Internetkrieger als Helfershelfer
© AFP/Timothy A. Clary
CAREER NETWORK Anne M. Schüller 19.05.2017

Internetkrieger als Helfershelfer

Vorankommen wird ein Unternehmen fortan nur, wenn es von den „New Business Gurus”, den Treibern des ökonomischen Wandels, lernen will.

Gastbeitrag ••• Von Anne M. Schüller

Mit hohem Tempo, digitaler Kernkompetenz und einem Riecher für Innovationen treiben Digital Natives neue Geschäfts-, Arbeits-, Kommunikations-, Kauf- und Lebensmodelle voran. Sie haben, von tradierten Modellen entkoppelt, längst eine Parallelwelt erschaffen, die sich der Old Economy nur ansatzweise erschließt. Anstatt also über das Jungvolk zu schimpfen oder Generationenkonflikte heraufzubeschwören, sollte die Wirtschaft ihre Überlebenschance darin erkennen. Die junge Generation definiert unsere Zukunft – und auch den Handlungsspielraum, den die Anbieter darin haben.

Millennials lehnen sich, und das ist der wohl größte Unterschied zur Transformationsgeneration der 68er, nicht gegen Altes auf. Sie machen es einfach neu. Digitale Transformation? Da reiben sie sich verwundert die Augen. Was sollen sie transformieren? In einem digital transformierten Kosmos leben sie längst. Und wenn sie Arbeitswelten schaffen, dann sind diese daran adaptiert. Domänen, in die sich tradierte Unternehmen erst mühsam hineindenken müssen, sind für sie vertrautes Terrain. Das für sich zu nutzen, sich von jungen Gedanken und frischen Ideen inspirieren zu lassen, genau das macht den Unterschied zwischen den zukünftigen Überfliegern der Wirtschaft und dem traurigen Rest.

Millennials als Coaches

Silicon-Valley-Tourismus indes, der in den Chefetagen derzeit sehr angesagt ist, reicht keineswegs. Man lernt ja auch nicht malen, indem man den Louvre besichtigt. Besser, man holt sich Millennials als Coaches ins Unternehmen. Natürlich ist die Erfahrung der Älteren nach wie vor wertvoll. Und zweifellos können die Juniors vom Wissen der ­Seniors profitieren. Doch wirklich vorankommen wird ein Unternehmen fortan nur, wenn es von den „New Business Gurus”, den Treibern des ökonomischen Wandels, lernen will. Mehr als jemals zuvor kann die junge Generation den etablierten Playern helfen, sich auf die immer schnelleren Zyklen der Zukunft vorzubereiten: agiler zu werden, digitaler zu denken, kollaborativer zu handeln und Disruptives zu wagen.

Game Changer, Growth Hacker

„Welche Branche hacken wir diese Woche?”, lautet der weltweite Schlachtruf der digitalen Bohème. Doch die meisten Jungunternehmer wollen gar nicht zerstören, sondern verbessern. Superagil, vielseitig interessiert und global geprägt erkennen sie Potenziale blitzschnell, können Marktdifferenzen rasch identifizieren und Lösungen ganz neu kombinieren. Aus ihren vernetzten Start-up-Schmieden kommen Ideen, die nicht nur alles digitalisieren, sondern die Welt so schnell und umfassend verändern wie niemals zuvor. Gegen ihr schlankes, smartes, findiges Vorgehen haben die Old-School-Apparatschiks mit ihrer Absicherungsmentalität, ihren langatmigen Expertenrunden und ihren behäbigen Entscheidungsprozessen nicht den Hauch einer Chance. „Disrupt yourself before you get disrupted” heißt die neue Parole. ­Treiber und nicht Vertriebener, gilt es zu sein. Wer nicht innoviert, wird weginnoviert. „There is an Uber in every business”, warnt Digitalanalyst Brian Solis.

Disruptoren betreten keinen bestehenden Markt, sie erzeugen einen neuen. So hocken Horden von Digital Natives vor ihren Bildschirmen und hauen hoffnungsvoll in die Tasten. Game Changer, Growth Hacker und Internetkrieger nennen sie sich. Der versierte Umgang mit Online-Medien und das Meistern von Bits, Bytes und Code ist ihr wichtigstes Kapital. Digitale Berührungsängste kennen sie nicht. Sie brauchen keine Fabrik und auch keine Garage, um Geschäftsmodelle zu entwickeln, die die Etablierten erzittern lassen – ein Laptop und WiFi reichen meist aus. Natürlich schlägt vieles von dem, was sie machen, abgrundtief fehl. Aber auch in etablierten Unternehmen sind die Flopraten hoch, bei klassischen Produktneueinführungen betragen sie bis zu 90%. Und immer öfter floppen Unternehmen als Ganzes.

Warum Unternehmen floppen

Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology gehen davon aus, dass bis 2025 rund 40% der heutigen Fortune-500-Firmen verschwunden sein werden. Der häufigste Grund dafür: Management-Irrtümer – allen voran das Festhalten an veralteten Organisationsstrukturen, verstaubten Führungsmethoden, antiquierten Geschäftsmodellen und überholten Wertschöpfungsketten. Klassische Unternehmen sind geschlossene Systeme, in denen jeder sein Wissen hortet. Die Vertreter der jungen Generation hingegen, die in der Sharing-Economy groß geworden sind, haben längst verstanden, wie arm man bleibt, wenn man alles für sich behält, und wie reich man wird, wenn man teilt. Co-kreativ nutzen sie die „Weisheit der Vielen” und integrieren dankbar jede hilfreiche Idee, egal, von welcher Seite sie kommt. Sie probieren alles Mögliche aus und kalkulieren das Scheitern mit ein. „Beim nächsten Mal machen wir eben bessere Fehler”, sagen sie heiter. „Start many, try cheap, fail early”, heißt bei Google dieses Prinzip.

Haben die Repräsentanten der Old Economy in diesem Umfeld überhaupt Chancen? Der Harvard-Professor Clayton M. Christensen meint in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma”, sie seien Gefangene ihres eigenen Erfolgs. Disrupten sie nämlich ihr Geschäftsmodell, bleiben die Gewinne, die im Dreimonatstakt zu erwirtschaften sind, zunächst aus. Es sei denn, man folgt diesem Plan: Man trenne sich erstens ganz konsequent von veralteten Produkten, Methoden und Mindsets, kapitalisiere zweitens die derzeitigen Renditebringer und beginne drittens – abseits des Unternehmenszentrums – vehement mit etwas ganz Neuem. Disruptionen beginnen immer in einer Nische oder an den Rändern einer Organisation. Sich andockende Jungunternehmer und die jungen High Potentials, die schon im Unternehmen sind, können dabei sehr hilfreich sein.

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