"Gäste wollen nicht wie Klick-Vieh behandelt werden"
© Gabriele Grießenböck
Media-Experte Thomas Koch: "Der Mensch ist ein soziales Wesen, daran ändert auch Facebook nichts."
DESTINATION Redaktion 10.10.2017

"Gäste wollen nicht wie Klick-Vieh behandelt werden"

Digitalisierung und Big Data sorgten beim Treffen der Österreichischen Tourismusmanager (BÖTM) in Zell am See-Kaprun für viel Diskussionsstoff.

ZELL AM SEE/KAPRUN. Die Digitalisierung verändert scheinbar alles, stellt alles infrage und stellt alles auf den Kopf. Heute führen digitale Reisebegleiter den Gast durch seinen Urlaub. Neue Medien wecken die Sehnsucht auf Auszeit. Und bald kann der Zimmerservice ganz smart per Sprachbefehl bestellt werden – Alexa machts möglich. Auch in der Tourismusbranche gilt Big Data, also das Sammeln und Auswerten großer Datenmengen, als Wachstumshoffnung. Daten sind die neue Leitwährung in der digitalisierten Welt. Aber kommt der Mensch, um den sich die Tourismusbranche in erster Linie kümmern sollte, dabei zu kurz? Wie der Spagat zwischen virtuellen Möglichkeiten und realen Urlaubsgästen gelingt, darüber diskutierten rund 70 Tourismusmanager und Experten beim dreitägigen BÖTM in Zell am See-Kaprun.

"Menschen im Tourismus"
Mit dem Generalthema „Menschen im Tourismus – wertvoll oder Werte-los?“ habe man den Puls der Zeit getroffen, sagte Josef Schirgi, der Präsident des BÖTM. „Neben all den Hypes und Trends dürfen die menschlichen Bedürfnisse und die ständige Verbesserung der Angebote nicht zu kurz kommen.“ Tourismusdestinationen sehen sich, auch durch beschränkte Budgets, mit immer größer werdenden Herausforderungen der  Digitalisierung in internationalen Märkten konfrontiert. Die neue Datenschutzgrundverordnung, die in knapp einem Jahr in Kraft treten wird, sorge zudem für Verunsicherung und lässt offene Fragen zurück. Gäste reisen aber nicht in Bits und Bytes, sondern ganz real in 3D. Noch nachdrücklicher brachte dies der Media-Experte Thomas Koch auf den Punkt: „Gäste wollen nicht wie Klick-Vieh behandelt werden.“ Onlineplattformen und digitale Medien bieten viele Möglichkeiten, aber es wäre ein Fehler, sein ganzes Augenmerk nur noch auf die digitalen Plattformen zu legen, so Koch. Es gibt 600 Mio. Adblocker weltweit. „Die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz getroffen zu werden, ist höher, als auf eine Online-Bannerwerbung zu klicken“, stellte er süffisant fest. Vielmehr zeige die digitale Welt auf, was an der analogen Welt erhaltenswert ist. Koch sieht Onlinewerbung als Erweiterung der bestehenden Kommunikation, nicht als Ersatz. Je komplexer die Reise wird, umso mehr wenden sich Gäste an herkömmliche Reiseanbieter. „Der Mensch ist ein soziales Wesen, daran ändert auch Facebook nichts.“
 
"Niemand will Durchschnitt"
Markenexperte Christoph Engl stellte fest: Touristiker müssen sich die Frage stellen, für wen ihre Produkte relevant sind und nicht wie oft diese geklickt werden. Niemand will mehr Durchschnitt. Das Problem seien austauschbare Produkte, die sich Marke nennen. Deshalb sollten sich Destinationen nicht in ihrer Vielfalt verirren, sondern ihre Spitzenleistungen bündeln. „Marke bedeutet, ein Bild zu erzeugen, nicht einfach ein Bild zu zeigen“, meint Engl.
Dass mit dem Begriff der Digitalisierung auch viel Schindluder getrieben wird, davon war auch der Zukunftsforscher Matthias Horx überzeugt. „Es ist ein technischer Trend, man sollte ihn nutzen, aber nicht den Gast verdigitalisieren. Menschen haben keine Lust, als Datenpakete behandelt zu werden“, sagte Matthias Horx. Tourismus werde immer ein „Mensch-zu-Mensch-Empfehlungsgeschäft“ bleiben. Einen Trend der Zukunft sieht Horx auch im „Neuen Empathie-Tourismus“, einer modernen Gastfreundschaft, die den Gast in seiner Individualität wahr- und ernst nimmt. Hotels und Gastronomie bekommen wieder die Bedeutung der Begegnung und Selbsterfahrung. Eine Umkehr der Individualisierung wird zur Suche nach Gemeinschaft.  Einig war man sich darüber, dass die Digitalisierung enorme Chancen für die Branche bietet. Viele Destinationen beschäftigen sich bereits intensiv mit den Themen Big Data und den neuen Technologien. Wohin die Reise geht, wird die Zukunft zeigen. (red)

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