Migration hilft bei den Pensionen
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Krischanitz: „Ein neuer Baby­boom könnte die steigende Lebenserwartung nicht ausgleichen, da bedürfte es afrikanischer Verhältnisse”.
FINANCENET 16.10.2015

Migration hilft bei den Pensionen

Die aktuellen Zuwanderungsströme können das Umlage­verfahren entlasten, retten können sie es allerdings nicht – dies meint ­Pensionsexperte Christoph Krischanitz.

••• Von Harald Kolerus

WIEN. Das Pensionssystem ächzt gewaltig – im Vorjahr musste der Bund rund 10,1 Mrd. Euro für dessen Aufrechterhaltung zuschießen. Sozialminister Rudolf Hundstorfer konnte in einer Aussendung den Zahlen aber durchaus auch etwas Positives abgewinnen: „Die endgültige Abrechnung für das Jahr 2014 zeigt, dass der Bund nicht um 63 Millionen Euro mehr als im Budgetrahmen vorgesehen war, für die Pensionen ausgeben musste, sondern um 80 Millionen weniger.” Nachsatz: „Unser Pensionssystem bleibt stabil und die Finanzierung gewährleistet.”

„Emotionale Diskussion”

Andere Experten sehen das Bild nicht so rosig, wie etwa Christoph Krischanitz, Geschäftsführer des finanzmathematischen Beratungsunternehmens arithmetica. In einem Seminar zum Thema wies der Experte auf die bekannten Probleme wie Zunahme der Lebenserwartung und schwache Geburtenjahrgänge hin. Logisch: Die Zahl der über 65-Jährigen steigt an, nicht genügend Junge kommen nach – die Schere klafft auseinander.

„Wer sichert nun unsere Pensionen? Die einfachen Antworten wären: niemand, der Staat, der Markt oder ,wir selber’. Das hat eine emotionale Diskussion zur Folge, weil in Wirklichkeit die Frage selbst schlecht gestellt ist!”, so Krischanitz. Notwendig seien Detailfragen, wie welche Leistungen für welchen Zweck erwartet werden. Soll die Pension etwa nur der Grundversorgung dienen, den erworbenen Lebensstandard sichern oder vielleicht doch die „Krönung” eines arbeits- und mitunter entbehrungsreichen Lebens darstellen? „Wenn wir von ,unseren Pensionen’ sprechen, gilt es auch zu erörtern, wer damit gemeint ist. Sind das auch kommende Generationen?”, so ­Krischanitz weiter. „Und wer kommt überhaupt für die Absicherung als Akteur infrage?
Erst wenn diese Punkte einzeln ausdiskutiert sind, kann ein gutes Pensionssystem geschaffen werden”, meint der studierte Mathematiker und Physiker.
Für den also naturwissenschaftlich geschulten Krischanitz kann dieses solide System nur durch die Austarierung des Drei Säulen-Modells (gesetzliche Pensionsversicherung, betriebliche Altersvorsorge und private Rentenversicherung) realisiert werden.

Vater Staat entlasten

In Österreich ist die erste Säule ganz klar der tragende Pfeiler: Knapp 90% der Beiträge in die Pensionssicherung kommen aus der Pflichtversicherung. Aufgerundet acht Prozent macht die zweite Säule mit den Instrumenten Abfertigung Neu, direkte Leistungszusage und Pensionskassen aus (Anm.: mit der direkten Leistungszusage gibt ein Unternehmen an ausgewählte Mitarbeiter, nämlich Spitzenkräfte wie Manager, das Versprechen ab, ihnen im Ruhestand eine bestimmte Zusatzpension zu bezahlen; laut Krischanitz werden solche Verträge aber kaum noch neu abgeschlossen.)

Falscher Hebel

Auf private Versicherungen entfallen nur etwa drei Prozent des gesamten Kuchens. Betrachtet man dieses Bild, wird deutlich, dass ein klarer staatlicher Überhang besteht; der Hebel müsste also bei betrieblicher und Eigenvorsorge angesetzt werden. „Heute erfolgt die Pensionsdeckung zu knapp 90 Prozent aus der ersten Säule und zu circa zehn Prozent aus den beiden anderen Säulen. Ersterbenswert wäre ein Verhältnis von rund 75 zu 25 Prozent”, so Krischanitz.

Zuwanderung ist wichtig

Der arithmetica-Chef glaubt aber, dass damit noch nicht der Weisheit letzter Schluss gefunden sei. Gern vergessen werden etwa die möglichen positiven Effekte der Migration. „Durch einen neuen Baby­boom können wir die steigende Lebenserwartung nicht ausgleichen – da bräuchten wir ,afrikanische Verhältnisse’ hinsichtlich der Geburtenraten. Die demografische Entwicklung ist nur über Zuwanderung steuerbar, wenn auch wohl nur kurzfristig”, meint der Spezialist.

Auch stellt sich für ihn die Frage, ob wirklich die Arbeitskräfte ins Land kommen (wollen), die tatsächlich benötigt werden. Migration ist somit nur ein Faktor, der in einem Gesamtgefüge zur Sicherung der Pensionen beitragen kann. In der aktuellen Flüchtlingsdebatte sollte aber auf diesen Aspekt nicht vergessen werden.

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