Pleitegeier – Börsianer noch recht gelassen
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FINANCENET 29.05.2015

Pleitegeier – Börsianer noch recht gelassen

Countdown Im Juni muss die Regierung unter Alexis Tsipras (r.), mit dem die Griechen übrigens recht zufrieden sind, 1,6 Mrd. Euro an den IWF zahlen; das zweite Hilfsprogramm läuft aus. Tsipras und Finanzminister Varoufakis (l.) treiben jeden Euro ein. So mancher Börsianer bewahrt dennoch kühlen Kopf.

Wien. Die jüngsten Nachrichten aus Griechenland belegen die verzweifelte finanzielle Lage des Landes. Dass Athen bald de facto zahlungsunfähig ist, bedeutet aber nicht unbedingt den Ausstieg aus dem Euro. Was aber, wenn der „Grexit” doch kommt – was bedeutet das für die europäischen Kapitalmärkte? Die heimischen Analysten stellen sich dieser Frage bemerkenswert gelassen. Denn ein zweifelhaftes Mittel scheint zumindest mittelfris-tig alle Sorgen zu nehmen.

Jeder Euro zählt

Was könnte den de-facto-Bank-rott eines Landes besser vor Augen führen als der jüngste Plan des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis? Die Athener Regierung sammelt Geldreserven von über 1.000 staatlichen Betrieben und Institutionen ein: betroffen sind Museen und archäologische Stätten ebenso wie die griechischen TÜV-Stellen.
Kein Euro ist dabei zu schade. „Es geht sogar um Beträge unter 100 Euro, die staatliche Unternehmen irgendwo vergessen haben”, wird ein griechischer Bankmitarbeiter zitiert.

1,55 Mrd. werden fällig

Der Druck auf Griechenland steigt: Im Juni müssen insgesamt 1,55 Mrd. Euro Tilgungsraten an den IWF überweisen werden. Trotzdem sinkt im Mai die Anzahl der Anleger, die mit einem Grexit rechnen: Laut einer Umfrage des Beratungskonzerns Sentix von 49 auf 41,2%. Der Grund dafür dürfte sein, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Land auch nach einem Zahlungsausfall im Euro bleibt.
Aber was passiert an den europäischen Kapitalmärkten, wenn das lang Erwartete, aber bisher noch nie Dagewesene doch eintritt? Nicht viel – zumindest mittelfris-tig, meinen übereinstimmend Alfred Reisenberger, Head of Investment bei der Valartis Bank, und Peter Brezinschek, Head of Raiffeisen Research der Raiffeisen Bank International (RBI).

Erste Schockreaktion

Kurzfristig erwarten allerdings beide eine Schockreaktion. Die nervösen Aktienmärkte könnten – zumindest vorübergehend – einbrechen. Denn in einer Situation, in der es wenig gibt, an dem sich der Markt orientieren kann, würden negative oder scheinbar negative Nachrichten leicht für deutliche Ausschläge sorgen. Dieser Rückgang an Europas Börsen sollte abereher als Einstiegsmöglichkeit gelten, meint Brezinschek. Bald sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass der Grexit „absolut verdaubar” ist, meint Reisenberger.

EZB hält den Deckel drauf

Wesentlicher Grund für Brezinscheks kühlen Kopf dürfte im Staatsanleihen-Ankaufprogramm der EZB zu suchen sein. Das sei zwar mit der Gefahr einer Deflation begründet worden. Brezinschek vermutet aber eine andere Strategie dahinter und diese gehe bislang sehr gut auf. Das Programm wurde am 22. Jänner beschlossen, am 25. Jänner gewann wie erwartet Syriza die Wahl in Griechenland. EZB-Chef Mario Draghi habe das, was von der neuen griechischen Regierung zu erwarten war, richtig eingeschätzt. Das Ankaufprogramm sei als Schutz für Länder wie Spanien, Italien und Portugal geplant gewesen, deren Anleihen stetig aufgekauft werden. „Dadurch hält jetzt die EZB den Deckel drauf”, was die Ansteckungsgefahr anderer Länder durch einen Grexit betrifft, so Brezinschek.

Anleihen bleiben stabil

Staatsanleihen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sollten bei einem Grexit als sichere Häfen einen Renditerückgang sehen, meint Reisenberger. In den südlichen Ländern könnten die Renditen leicht ansteigen.
Brezinschek meint, dass der Tiefpunkt bei den Staatsanleihen durchschritten sei, mit der eigentlich dramatischen Entwicklung von einem plus von 75 Basispunkten innhalb weniger Wochem bei den deutschen Anleihen. (ks/APA)

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