Antibiotika oft unwirksam: Jetzt startet Kampagne
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HEALTH ECONOMY 16.10.2015

Antibiotika oft unwirksam: Jetzt startet Kampagne

Multiresistente Keime, auch in Spitälern, werden zunehmend zur Gesundheitsgefahr. Nun steuern die WHO, die EU und die G7 gegen.

••• Von Martin Rümmele

Sie gehören wohl zu den wichtigsten und effizientesten Medikamenten, überhaupt. Antibiotika. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1928 durch den britischen Forscher Alexander Fleming im Jahr 1928 feierten Antibiotika einen Siegeszug als weltweit umjubelte Wunderwaffe in Kampf gegen Infektionskrankheiten. Doch heute bereitet ausgerechnet diese Wunderwaffe den Medizinern immer öfter Sorgen. Der Grund sind resistente Bakterien. Kommt ein Patient mit einer schweren Infektion ins Krankenhaus, liegt das Risiko, dass die bisherige Standardtherapie mit Antibiotika nicht mehr wirkt, bereits bei 25% und bei einigen Tuberkulose-Stämmen liegt die Resistenzrate sogar bei 50%.

Ist das allein schon schlimm genug, kommt noch eine zweite Entwicklung dazu: Antibiotikaresistente Keime machen zunehmend sogar Menschen, die mit ganz anderen Problemen kommen, im Spital krank. Das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle (ECDC) in Stockholm geht von jährlich in der EU auftretenden 4,1 Mio. Infektionen aus, die „gesund” ins Krankenhaus gekommene Patienten dort erst erwerben. Das führt den Zahlen zufolge jährlich zu 37.000 Todesfällen. Die Autoren einer anderen Studie der Berliner Großklinik Charité warnen wiederum, dass die Zahl der Toten von jetzt weltweit etwa 700.000 pro Jahr bis 2050 auf zehn Millionen steigen könnte. Dafür legen sie Schätzungen der britischen Regierung von 2014 zugrunde und setzen voraus, dass keinerlei Gegenmaßnahmen getroffen werden. Für Europa würde dies einen Anstieg von jetzt etwa 23.000 auf 400.000 Tote bedeuten. Damit würden dann mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben als an Krebs, so die Autoren. In Deutschland geht das Gesundheitsministerium von insgesamt 400.000 bis 600.000 Patienten aus, die jedes Jahr durch medizinische Behandlungen Infektionen bekommen, und von bis zu 15.000 Toten. Umgerechnet auf Österreich, wären das in jedem Fall mehr als 1.000 Tote pro Jahr. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr kamen im Vorjahr 430 Menschen ums Leben.

Leichtfertiger Einsatz

Gut ein Zehntel der Krankenhauskeime gilt heute bereits als multiresistent (MRSA). Das heißt, sie reagieren nicht mehr auf gängige Antibiotika. Die Gründe dafür liegen unter anderem im unkontrollierten und ausufernden Einsatz von Antibiotika in den vergangenen 30 Jahren. Oft greifen Ärzte leichtfertig zu Antibiotika und nicht selten unter dem Druck von Patienten, Antibiotika zu verschreiben, etwa wenn sie Atemwegsinfektionen haben. Viele Ärzte geben dem nach, um Patienten nicht zu verlieren oder weil sie in der Diagnose nicht ganz sicher sind. Rund 90% der Atemwegsinfektionen sind aber ­virale Infektionen – und da wirken Antibiotika nicht. Ein weiterer Grund ist die Leistungsexplosion in der modernen Medizin: Bei immer mehr Eingriffen werden immer öfter medizinische Barrieren überwunden, und die Zahl der bakteriellen Infektionen steigt in Kliniken rasant – ebenso die Zahl der dort eingesetzten Antibiotika –, was ebenfalls zu Resistenzbildungen führt.

Österreich liegt hier im europäischen Durchschnitt. „Unsere Infektionsrate liegt in etwa beim europäischen Durchschnitt von sechs Prozent. Pneumokokken, Harnwegs- und Wundinfektionen stehen im Vordergrund”, zitierte zuletzt Elisabeth Presterl, Chefin der Universitätsklinik für Hygiene und Infektionskontrolle im Wiener AKH (MedUni Wien) neue Daten aus einer österreichischen Studie ihres Referenzzentrums. Immer mehr rücken Infektionen mit dem Durchfallkeim Clostridium difficile in den Blickpunkt von Hygienikern und Infektionsfachleuten. „Was wir gesehen haben, ist eine Mortalität von mehr als zehn Prozent”, sagte vor Kurzem AGES-Experte Franz Allerberger. Die Sterblichkeit könne bei solchen im Krankenhaus erworbenen Infektionen sogar bei 20% liegen. „Faktum ist, dass die Belagstage in einem solchen Fall um zehn Tage steigen. Zehn bis 15 Prozent der Patienten erleiden später einen Rückfall.” Damit haben Krankenhaus-Infektionen und postoperative Wundinfektionen nicht nur problematische medizinische Konsequenzen, sondern verursachen auch erhebliche Kosten.

Zusammenhang mit Landwirtschaft

Neue Studien belegen zudem nun einen Verdacht, der schon lange erhoben worden ist: Es gibt eine Verbindung zur Verwendung von bestimmten Antibiotika bei Mensch und Tier und dem Auftauchen von resistenten Keimen. Zu diesem Schluss kamen vor dem Sommer die federführenden Expertengremien der EU in einem neuen, gemeinsamen Bericht. Die ECDC, die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA/Parma) und die EU-Arzneimittelagentur (EMA/London) haben erstmals gemeinsam die Situation in Europa untersucht und Daten aus Agrarindustrie und Medizin analysiert. Demnach wurden von jedem Menschen in der EU im Jahr 2012 durchschnittlich 116,4 mg Antibiotika pro Kilogramm Körpergewicht „konsumiert”. Die Nutztiere aus der Lebensmittelproduktion kamen mit im Schnitt 144 mg pro Kilogramm Biomasse deutlich schlechter weg. Die Experten in ihrem Bericht: „Insgesamt wurde ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Antibiotika in der Tierzucht und dem Auftauchen von Resistenzen bei den meisten verwendeten Kombinationen beobachtet.”

Am stärksten sei das bei Escherichia coli-Bakterien von Tieren gewesen. Das hätte aber auch für Salmonellen und Campylobacter gegolten. Umgekehrt wurde beim Menschen gezeigt, dass speziell die Verwendung von bestimmten Antibiotika (Cephalosporine der 3. und 4. Generation) sowie von Fluorchinolonen mit dem Auftauchen von resistenten E. coli-Keimen in Verbindung stehen dürfte, ebenso bei bestimmten Salmonellenarten. Das Besorgniserregende dabei: Bis 2030 werden weltweit um zwei Drittel mehr Antibiotika in der Nutztierhaltung verwendet als 2010, prognostizieren Forscher kürzlich im Fachjournal PNAS. Daran seien wachsender Fleischkonsum und intensivere Viehhaltung in Schwellenländern schuld.
Antibiotika werden in der modernen Viehzucht eingesetzt, um Tiere gesund zu halten, und damit sie schneller wachsen. In einer Studie mit Daten unter anderem aus Österreich zeigten Forscher in der Fachzeitschrift Journal of Antimicrobial Chemotherapy, dass Schweine, Geflügel und Rinder umso öfter resistente Bakterien tragen, je mehr Antibiotika man verwendet. Ein Drittel der Steigerung führen die Experten auf einen erhöhten Fleischbedarf in Schwellenländern zurück, wodurch mehr Tiere gehalten werden müssen. Das restliche Drittel sei einem Wechsel zu intensiverer Viehzucht in Ländern wie Brasilien, Indien, China und Russland geschuldet. In diesen Ländern erwarten sie sogar eine Verdoppelung der verabreichten Antibiotikamengen. Da hilft es auch wenig, dass laut einem anderen Bericht der EMA in Österreich und den meisten anderen EU-Ländern immer geringere Antibiotika-Mengen in der Viehzucht verwendet werden. (Hierzulande sank der Gebrauch von 2010 bis 2012 um 13%.)
Das wirkt aber noch kaum: Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat erst im August Schweinefleisch aus österreichischen Supermärkten untersucht. In rund einem Viertel der Proben wurden antibiotikaresistente Keime, darunter MRSA und ESBL-Erreger, nachgewiesen. Das Fleisch stammte aus konventioneller Haltung. Damit Antibiotika auch in Zukunft wirksam bleiben, fordert Greenpeace eine deutliche Reduktion des Medikaments in der Intensivtierhaltung. Eine Chance dafür bietet das Tierarzneimittel-Verordnungspaket, das derzeit in der Europäischen Union diskutiert und im November beschlossen wird. „Fleisch unbedenklich zu genießen ist, wie auch unser Schweinefleischtest zeigt, nicht mehr möglich. Auf jedem Stück Steak oder in jedem Faschierten können bereits antibiotikaresistente Keime lauern”, sagt die Konsumentensprecherin von Greenpeace in Österreich, Nunu Kaller. Die Umweltschutzorganisation fordert, ausschließlich kranke Tiere mit Antibiotika zu behandeln und auf Reserveantibiotika, die als Notfallmedikamente für Menschen gedacht sind, in der Tierhaltung gänzlich zu verzichten. Auch der Handel mit Tierarzneimitteln über das Internet müsse verboten bleiben. Zur Unterstützung dieser Forderungen hat Greenpeace eine Petition (www.resistenz.at) gestartet.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Zahlen hat die US-Behörde für Lebensmittelüberwachung und Arzneizulassung (FDA) angeordnet, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung einzuschränken. Demnach dürfen Antibiotika, die auch zur Behandlung von Menschen dienen, nur noch auf tierärztliches Rezept in der Vieh- und Hühnerzucht verabreicht werden. Außerdem dürfen sie ausschließlich zur Behandlung bestimmter Krankheiten und nicht mehr zur Wachstumsförderung bei den Tieren eingesetzt werden. Auch die EU will künftig Landwirte verpflichten, Antibiotika nur sehr zurückhaltend einzusetzen. Parallel haben sich die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen globalen Aktionsplan für den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen verständigt. Ziel sei es, eine wirksame Behandlung und Vorbeugung bakterieller Infektionen durch effektive und sichere Medikamente auch weiter gewährleisten zu können, erklärte die Organisation. Vergangene Woche haben sich im Kampf gegen die zunehmende Bedrohung durch tödliche Keime auch die G7-Staaten in Berlin auf einen Maßnahmenkatalog verständigt. Um Resistenzen zu verhindern, sollten Antibiotika nur zu therapeutischen Zwecken und nach individueller Diagnostik verabreicht werden.

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