Handel setzt Apotheken massiv unter Druck
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HEALTH ECONOMY Redaktion 11.03.2016

Handel setzt Apotheken massiv unter Druck

Jede dritte Apotheke schreibt rote Zahlen; zudem wollen Drogerien und Lebensmittelketten rezeptfreie Arzneimittel verkaufen.

••• Von Martin Rümmele

Eigentlich sind die Apotheken eine wunderliche Branche, beinahe ein Musterbeispiel für Planwirtschaft: Gebietsschutz und das Verbot von Kettenbildung ermöglichen nahezu eine Vollbeschäftigung aller Pharmazeuten. Die Löhne für die angestellten Apotheker zahlen zudem nicht die Apotheken selbst, sondern die Pharmazeutische Gehaltskasse. In diese zahlen alle selbstständigen Apotheker pro Angestelltem einen Fixbetrag ein. Die Gehaltskasse zahlt dann aus – vereinfacht dargestellt – je nach Alter und Vordienstzeiten. Damit gibt es keinen Gehaltsdruck für ältere Beschäftigte, so das Argument. Der Großteil der Mitarbeiter in den Apotheken sind Frauen – in den verschiedensten Teilzeitvarianten. Die Wiedereinstiegsquote nach einer Karenz liegt bei nahezu 100%. Und die Einnahmen sind bei rezeptpflichtigen Medikamenten über von den Krankenkassen fixierte Spannen im Grunde vorgegeben. Rund 80% der Umsätze kommen aus diesem Bereich und sind durch die ärztlichen Rezepte ebenfalls für die Apotheker nicht steuerbar. Mehr Möglichkeiten gibt es bei rezeptfreien Produkten, deren Umsätze die Apotheken steuern können. Doch auch hier sind die Spannen vorgegeben.

Schlechte Bilanz für 2015

Trotz aller dieser Regelungen kommt die Branche nun unter Druck. 31% der rund 1.370 öffentlichen Apotheken in Österreich befanden sich im Jahr 2015 in der Verlustzone, gab der Apothekerverband nun bekannt. Er ist die Vertretung der selbstständigen Apotheker. Verschärft werde die schlechte Umsatzrentabilität durch eine niedrige Eigenkapitalquote, hieß es am Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien. „Zwei Prozent der Apotheken haben eine Eigenkapitalquote von mehr als 30 Prozent und eine Umsatzrentabilität von mehr als zehn Prozent; 19 Prozent der Apotheken haben eine negative Eigenkapitalquote – das Negative an der Situation ist, dass auch Verluste erzielt werden”, sagte Peter Voithofer, ­Direktor der KMU-Forschung ­Österreich. Der Präsident des Verbandes der selbstständigen Apotheker, Christian Müller-Uri, ergänzte: „Die Apotheken in Österreich verdienen aufgrund des Sparzwangs im Gesundheitswesen zu wenig.”

Vergangenes Jahr stieg der Kassenumsatz der Apotheken zwar um 5,6% auf 2,62 Mrd. €, das wirkte sich aber kaum auf die Ertrags­situation aus. Grund sind die jährlich sinkenden Spannen bei den auf Kassenrezept verschriebenen Arzneimitteln. Sven Abart, Direktor des Verbandes: „2005 betrug diese Spanne 20,47 Prozent, 2015 dagegen waren es nur noch 15,67 Prozent.” Durch die festgelegen degressiven Margen – je teurer ein Arzneimittel, desto geringer der Anteil der Apotheker bis zu einem Limit – und durch Sonderrabatte und Refundierungsmodelle für die Krankenkassen hätte die Umsatzsteigerung des vergangenen Jahres kaum etwas bewirkt.

Niedrige Spannen

Andere Branchen in Österreich scheinen KMU-Forschern zufolge deutlich besser abzuschneiden. Abart: „Im Drogeriehandel hat sich die Gesamtspanne zwischen 2003/2004 von 37,5 Prozent auf 40,9 Prozent 2013/2014 erhöht.” Die Umsatzrentabilität der Apotheken sei mit 2,8% zwar im Durchschnitt noch höher als im Einzelhandel, wo 1,9% registriert würden, doch auch diese Kurve zeige seit Jahren nach unten.

Müller-Uri merkt zudem an, dass die Apotheker zwischen 2004 und 2008 via Sonderrabatte zur Entschuldung der Krankenkassen 146,7 Mio. Euro aufgewendet hätten. „Diese Belastung der Apotheken können wir aus heutiger Sicht nicht mehr fortführen.” Die entsprechende Vereinbarung lief Ende 2015 aus.

Druck von Drogeriekette dm

Verschärft wird die Situation nun dadurch, dass die Drogeriemarktkette dm einen neuen Versuch unternimmt, um rezeptfreie Medikamente verkaufen zu dürfen. Konkret geht es dabei um einen Markt von rund einer Mrd. € – gerechnet nach Apothekenverkaufspreisen (AVP). Gewappnet mit einem Gutachten des Verfassungsrechtlers Heinz Mayer, wurde vergangene Woche ein Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. Dass Drogerien keine rezeptfreien Medikamente verkaufen dürfen, ist für Mayer verfassungswidrig, weil es keinen sachlichen Unterschied gebe, der diese rechtliche Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Der Apothekervorbehalt verstoße demnach gegen den Gleichheitssatz. Mit dem Individualantrag wird nun eine Gesetzesprüfung angeregt; dabei soll eine Reihe von Paragrafen, insbesondere im Arzneimittelgesetz, vom VfGH geprüft werden.

Bei dm erhofft man sich eine Umsatzsteigerung von bis zu 80 Mio. € pro Jahr. Die rezeptfreien Medikamente sollen im Drogeriemarkt so billig angeboten werden, dass sich jede Familie 100 € im Jahr sparen würde, meint dm-Geschäftsführer Harald Bauer. Außerdem will er für den Verkauf Pharmazeuten und eigens ausgebildete Drogisten einstellen. Die Apotheker, die seit dem Sommer übers Internet rezeptfreie Medikamente verkaufen dürfen, müssen begleitend zum Onlineverkauf eine Beratungsmöglichkeit anbieten. Dies wolle auch dm so umsetzen, indem in den Filialen oder beim Online-Verkauf eine Gratishotline mittels Telefon oder Internet zu einem Pharmazeuten eingerichtet wird. Dann werde dieselbe Beratungsqualität wie von Apothekern gewährleistet, erläutert dm-Sprecher Stefan Ornig.

Handelsverband will mehr

Unterstützung bekommt dm nun auch vom mächtigen Handelsverband, der sogar einen Schritt weiter geht und sich rezeptfreie Medikamente auch im Lebensmittelhandel vorstellen kann. „Der Handelsverband kann den Schritt von dm zum Verfassungsgerichtshof sehr gut nachvollziehen. Eine mögliche rechtliche Ungleichbehandlung muss, im Sinne eines gerechten Marktes, geprüft werden. Ein positiver Bescheid darf aber nicht von einer willkürlichen Beschränkung auf Apotheken zur nächsten Einschränkung auf Drogisten führen. Wir sprechen uns deshalb für gleiches Recht für alle aus”, sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes. „Wir müssen nicht weit reisen, um zu sehen, wie es funktionieren kann. In Italien stehen Konsumenten neben den klassischen Apotheken, sogenannte Parafarmacie und Supermärkte für den Kauf von rezeptfreien Medikamenten zur Verfügung. dm hat schon jetzt in Deutschland, Ungarn und Kroatien rezeptfreie Medikamente im Sortiment, die sie in Österreich jedoch nicht verkaufen dürfen”, sieht Will die österreichische Gesetzeslage hinter der internationalen Entwicklung und den Bedürfnissen der Menschen hinterherhinken.

Eine Abschaffung des Apothekenvorbehalts wäre für ihn deshalb im Sinne der Konsumenten. Die neu geschaffene Konkurrenz am Markt der OTC-Arzneimittel würde sich in günstigeren Preisen niederschlagen. „Insbesondere in ländlichen Gebieten mit weniger gut ausgebauter Infrastruktur könnte der hohe Filialisierungsgrad der Supermärkte einen wertvollen Beitrag zur Verfügbarkeit von rezeptfreien, nicht beratungsintensiven Medikamenten leisten. Die für den Fernabsatz vorgeschriebene pharmazeutische Beratung via Telefon, Internet oder E-Mail könnte auch jeder Händler anbieten.
Für den Präsidenten der Österreichischen Apothekerkammer, Max Wellan, sind diese Pläne ein rotes Tuch. Er warnt eindringlich vor einer „Ausfransung der Vertriebswege” auf Supermärkte. Wellan: „Medikamente gehören in die Apotheke. Jedes einzelne Medikament kann bei falscher Anwendung, bei falscher Dosierung oder falscher Kombination zu gesundheitlichen Problemen führen.” Die negativen Erfahrungen im illegalen Versandhandel sollten eine Lehre sein, argumentiert er. „Unkontrollierte Vertriebswege und Preis-Lockangebote führten zu einem massiven Anstieg bei Arzneimittelfälschungen.”

Gegen OTC-Produkte im EH

Medikamente im Supermarkt hätten nur das Ziel, den Umsatz anzukurbeln. „Das Ziel der Arzneimittelversorgung ist jedoch eine Optimierung in der Arzneimitteleinnahme und keine Maximierung. Kranke Menschen sollen so viele Arzneimittel wie notwendig, aber so wenige wie möglich einnehmen”, argumentiert Wellan. Die Österreicher lägen unter dem europäischen Schnitt im Arzneimittelkonsum, was von Gesundheitsexperten äußerst positiv gewertet werde, so der Apothekerkammer-Präsident. Dieser vernünftige Umgang mit Arzneimitteln erkläre sich auch daraus, dass Medikamente nicht im Supermarkt einfach aus dem Regal genommen, sondern in Apotheken mit Beratung abgegeben werden.

Versuchsballons in Ländern, wo Medikamente über Supermärkte angeboten würden, zeigen „ein verheerendes gesundheitliches Bild”, meint Wellan: „Beispielsweise sterben in den USA jährlich 28.000 Menschen an den Folgen unkontrollierter Medikamenteneinnahme. Allein in Kalifornien gibt es pro Jahr 60 Lebertransplantationen bei Kindern wegen Paracetamol aufgrund von Überdosierung durch die Eltern. „Der Apothekenvorbehalt für rezeptfreie Arzneimittel ist aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt und damit wohl nicht verfassungswidrig”, sagt Hans Steindl, Kammeramts­direktor der Apothekerkammer.
Wellan warnt aber auch den Handel vor den Eigenheiten des Marktes: Immer wieder würden „Glücksritter” das schnelle Geld mit Arzneimitteln suchen, und über kurz oder lang an den komplexen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen scheitern.

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