Nächste Reformen bringen Umbrüche
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HEALTH ECONOMY Martin Rümmele 25.03.2016

Nächste Reformen bringen Umbrüche

Der Reformzug im Gesundheitswesen nimmt Fahrt auf. Manche Stakeholder versuchen Weichen zu stellen, andere verpassen den Anschluss.

Ins Gesundheitswesen kommt nun doch nach Jahren der Debatten und Konflikte zwischen Krankenkassen und Stakeholdern Reformbewegung. Die Ausgangssituation ist dabei recht klar und wird seit Jahren auch von niemandem ernsthaft angezweifelt: Die demografische Entwicklung bringt steigende Erkrankungsraten, beim Gesundheits­personal herrscht Nachwuchsmangel, der durch eine beginnenden Pensionswelle verstärkt wird, zu viele Menschen nutzen die teure Infrastruktur Krankenhaus, Arzneimittelausgaben steigen und die niedergelassene Versorgung ist zu schwach, um die Spitalsambulanzen zu entlasten.

Debatte um Hausapotheken

Nun zeichnen sich Lösungen ab, die zwar wie immer bei Gesundheitsreformen nicht allen gefallen, die aber offenbar doch umgesetzt werden sollen. Eine davon betrifft die ärztliche Versorgung am Land. Zum einen sollen hier Primärversorgungszentren entstehen, wo mehrere Ärzte und anderes Gesundheitspersonal zusammenarbeiten, zum anderen braucht es Lösungen, um Ärzte auch in entlegene Gebiete zu bringen. Denn dort gehen in den nächsten Jahren viele langgediente Hausärzte in Pension.

SPÖ, ÖVP und der Gemeindevertreterverband haben nun die zwischen Apothekern und Ärzten heiß umkämpfte Nachfolgeregelung bei ärztlichen Hausapotheken geklärt. Reagiert wird damit auf zunehmende Probleme, Nachfolger für ärztliche Kassenordinationen am Land zu finden, weil durch eine geltende Kilometer-Regelung die Hausapotheke nicht weitergeführt werden darf.
Die derzeitige gesetzliche Regelung sieht vor, dass die medikamentöse Versorgung der Bevölkerung in erster Linie durch öffentliche Apotheken erfolgen soll. Ein Nachfolger eines Kassenarzts für Allgemeinmedizin kann die Hausapotheke nur übernehmen, wenn die nächste öffentliche Apotheke weniger als sechs Kilometer entfernt ist. Mit der Novelle soll geregelt werden, dass bei Übernahmen eine Hausapotheke weitergeführt werden kann, wenn die Entfernung zur nächsten öffentlichen Apotheke vier Kilometer beträgt. Neue gesetzliche Bestimmungen soll es außerdem für flächenmäßig größere Gemeinden geben: Auch wenn es dort eine öffentliche Apotheke gibt, soll eine Hausapotheke geführt werden dürfen, wenn der Mindestabstand von sechs Kilometer eingehalten wird.

Umstrittene Primärversorgung

Eine Regelung, die die Ärzte freut und die Apotheker ärgert. Die Pläne würden nicht nur bestehende ärztliche Hausapotheken sichern, sondern darüber hinaus die Bewilligung zusätzlicher ärztlicher Hausapotheken ermöglichen, kritisiert Apothekerkammerpräsident Max Wellan. Damit gefährde die Initiative bestehende Apotheken auf dem Land. Die Ärzte sehen das anders: „Wir sehen das als ersten wichtigen Schritt zur Verbesserung der Medikamenten-Versorgung der Landbevölkerung sowie der Arbeitsbedingungen von Landärztinnen und Landärzten”, erklärte Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger.

Erste erfolgreiche Schritte

Und im „ersten Schritt” liegt wohl auch ein Schlüssel für weitere Reformen. Nämlich jene, der bei Ärzten umstrittenen Primärversorgungszentren. Für Gesundheits­ministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) ist die Hausapothekenregelung ein möglicher „Teil einer großen Lösung zur Primärversorgung”. Dort läuft gerade die Ärztekammer Sturm gegen einen vom Gesundheitsministerium vorgelegten Gesetzesentwurf.

Die Kritik: Der Entwurf des Ministeriums sieht zwar einen Gesamtvertrag für PHC-Zentren vor, daneben sollen aber auch Einzelverträge für wesentliche Punkte, wie etwa die Honorierung, ausgehandelt werden können. Dies könnte bedeuten, dass Pauschalhonorare zwar im Gesamtvertrag geregelt würden, die einzelnen Ärzte aber die genaue Höhe ihrer Honorare mit den Kassen direkt verhandeln müssten. Außerdem könnten die Kassen an der Ärztekammer vorbei PHC-Zentren planen und unter Vertrag nehmen. Die Sorge der Kammer: sie verliert an Gewicht und Spitäler, die ihre Ambulanzen auslagern, oder Privatunternehmen bewerben sich ebenfalls um PHCs.
Indes zeigen sich in Wien Fortschritte beim Ausbau der Primärversorgung zwischen Krankenkasse und Ärztekammer. Für Wiener Patienten soll es künftig mehr Primärversorgungszentren mit umfassenderem Angebot und längeren Öffnungszeiten geben. Neben der schon existierenden Einrichtung in Mariahilf und dem fixen Nachfolger, der im Herbst beim Krankenhaus SMZ Ost eröffnen soll, könnten noch heuer zwei weitere Standorte dazukommen, kündigte Ingrid Reischl, Chefin der Wiener Gebietskrankenkasse, diese Woche an. Einerseits geht es um eine Gruppenpraxis aus drei Allgemeinmedizinern in Hernals. „Die Ärztinnen und Ärzte haben bereits Interesse bekundet, ihre Praxis umwandeln zu wollen”, sagte ­Reischl. Die andere Gemeinschaft liegt in Hietzing; da sie momentan nur von zwei Medizinern geführt wird, wurde die dritte Stelle – für ein PHC sind mindestens drei Doktoren nötig – bereits ausgeschrieben. In beiden Fällen laufen jedenfalls schon konkrete Gespräche.

Pharmaindustrie verhandelt

Ebenfalls Verhandlungen über grundlegende Reformen laufen mit der Pharmaindustrie; als erster Teil davon ist der Rahmen-Pharmavertrag, der Pauschalrabatte regelt, mit Jahresbeginn nach zum Teil harten Gesprächen unter Dach und Fach. Mit dem neuen Vertrag verpflichtet sich die Pharmawirtschaft, heuer zunächst einen Soli­darbeitrag in Höhe von 125 Mio. € an die Krankenversicherungsträger zu leisten. 2017 und 2018 hängt die Höhe der Zahlung von der tatsächlichen Steigerung der Medikamentenausgaben ab. Pro Prozentpunkt sind das 10 Mio. € an Solidarbeiträgen, wobei es eine Obergrenze von 80 Mio. € pro Jahr gibt. Nun laufen Gespräche über eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Aufnahme der Medikamente in den Erstattungskodex. Dazu wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt, in die auch das Gesundheitsministerium eingebunden werden soll; bis Mitte 2016 will man hier zu einem Ergebnis kommen. Nicht einig sind sich Pharmig und Hauptverband in Bezug auf sehr teure Medikamente etwa zur Behandlung von Krebs oder Hepatitis C. Dabei geht es um Arzneimittel mit einem Packungspreis über 700 €. Durch sie machen 0,4 Prozent der Medikamente rund 25% der gesamten Kosten aus. Hauptverbandsgeneraldirektor ­Josef Probst hält die Preisbildung für einzelne dieser Medikamente für unangemessen. Eine Lösung wäre nach seiner Ansicht aber eher auf europäischer Ebene zu erzielen. Das Hauptverband hat dazu nun auch ein eigenes Büro in Brüssel eröffnet.

Parallel zu den Baustellen Ärzte, Apotheken und Pharmaindustrie zeichnet sich nun auch eine grundsätzlichere Debatte über die Zukunft des heimischen Gesundheitssystems ab.
Den Startschuss dafür gab Salzburgs Gesundheits- und Spital­referent Christian Stöckl (ÖVP) zum Jahresbeginn, als er sich öffentlich für ein Bonus-System in der Gesundheitsvorsorge aussprach. Um ein breites und nachhaltiges Vorsorgesystem zu etablieren, sollten auch die Sozialversicherungen in die Gesundheit ihrer Versicherten investieren, bevor sie die Heilung der Krankheiten bezahlen müssten, erklärte er. „Die Erfahrungen, wie etwa bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, zeigen, dass das mit einem Bonus-System funktionieren kann: Wer regelmäßig an Vorsorge­untersuchungen teilnimmt, profitiert von einer Reduktion der Beiträge beziehungsweise einer Gutschrift”, erläuterte Stöckl. Bei vielen Menschen würden finanzielle Anreize mehr bewirken als Appelle an die Vernunft, verwies der Politiker auf den bewährten Mutter-Kind-Pass.
Das generelle Bonus-System solle nach der Devise „Wer auf seine Gesundheit achtet, wird belohnt” etabliert werden, meinte Stöckl. Ziel müsse es deshalb sein, möglichst viele Bürger für Vorsorge­untersuchungen zu motivieren. Kritik von Arbeitnehmervertretern und aus der SPÖ folgte prompt. Nun folgte aber auch ein ähnlicher Vorstoß aus dem Hauptverband.

Streit um Bonus-Systeme

Ingrid Reischl, Vorsitzende der Trägerkonferenz und Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), ortet darin einen Systembruch bei den Gebietskrankenkassen: „Ein Bonus ist unmittelbar mit einem Malus, also einer Bestrafung, verbunden, wenn Ziele nicht erreicht werden. Ein solches Konzept widerspricht dem solidarischen Ansatz in unserem Gesundheitssystem. Dies würde gerade sozial schwache Gruppen treffen. Wir setzen hier auf andere Akzente”, kritisiert sie.

Ziel sei es, die Prävention generell zu fördern – und zwar für alle Versicherten. Wobei der Schlüssel zum Erfolg nicht in einem Gießkannen-Modell liege, sondern darin, „dass zielgruppenorientiert vorgegangen wird”, betonte Reischl. Die WGKK lade routinemäßig zweimal im Jahr Personengruppen mit unterschiedlichen Gesundheitsrisiken zur Vorsorgeuntersuchung ein; Schwerpunkte waren dabei zuletzt: Kampf gegen Übergewicht, Erkennen von Gebärmutterhals- und Darmkrebs oder das Früherkennen von Bluthochdruck. Die Teilnahmequote gebe dem Modell recht: Im Jahr 2014 haben in Wien 199.241 Personen eine Vorsorge­untersuchung genutzt. Gemessen an den Anspruchsberechtigten, nutzt in der WGKK damit um rund ein Drittel mehr Personen die Vorsorgeuntersuchung als in der SVA. Der Reigen zu grunsätzlichen Diskussionen ist damit eröffnet.

••• Von Martin Rümmele

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