Psychische Erkrankungen sind Wirtschaftsbremse
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HEALTH ECONOMY 19.02.2016

Psychische Erkrankungen sind Wirtschaftsbremse

Sie sind oft tabu – doch psychische Erkrankungen sind nicht zu leugnen: 900.000 Menschen nehmen regelmäßig Psychopharmaka.

••• Von Katrin Waldner

Krankenstände von Beschäftigten sind immer ein Thema für Unternehmen; bedeuten sie doch Kosten und vor allem auch Ausfälle von Arbeitskräften. Schwere körperliche Arbeit verursacht nachvollziehbar arbeitsbedingte Erkrankungen, oft übersehen wird aber, dass seit Jahren die Zahl der psychischen Leiden steigt und damit auch die damit verbundenen Krankenstandstage – in den vergangenen 20 Jahren beinahe um das Dreifache. Das Thema wird meist verdrängt, tabuisiert und die Betroffenen ins Abseits gedrängt. Die Pharmabranche profitiert zwar, hält sich aber im Gegensatz zu anderen Erkrankungen in der Öffentlichkeit sehr zurück: Die Umsätze mit Psychopharmaka sind laut einer Studie der Donau-Universität Krems in Österreich zwischen 2006 und 2013 um 31% auf 188 Mio. Euro gestiegen. Der Anstieg wurde speziell von Antidepressiva und Antipsychotika ausgelöst. Zum Vergleich: Die Steigerung bei Psychopharmaka übertrifft die aller anderen pharmazeutischen Produkte deutlich. Diese legten im Vergleichszeitraum 17,8% zu – Zahlen, die nicht erstaunen, wenn man bedenkt, dass etwa jeder dritte Österreicher einmal in seinem Leben psychisch erkrankt und aktuell 900.000 Menschen jährlich Psychopharmaka einnehmen. Offiziell bekannt ist das bei den wenigsten – auch in den Unternehmen nicht.

Druck in der Arbeitswelt

Während sich die Pharmabranche über Zuwächse freuen kann, müssen andere Unternehmen mit mehr Ausfällen der Mitarbeiter wegen psychisch bedingten Krankheiten rechnen. Oft ist das Problem aber auch hausgemacht: Immer mehr Beschäftigte beklagen Überlastung und Stress am Arbeitsplatz. ­„Die Arbeitsbedingungen stehen in einem direkten Zusammenhang mit der individuellen Gesundheit”, hieß es schon 2011 in einer Studie der Donau-Universität Krems in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Arbeiterkammer Wien. Demnach entstehe Stress mit seinen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit in Form beispielsweise von psychischen Erkrankungen dann, wenn eine Arbeitssituation von hohen Anforderungen (wie Zeitdruck oder Hektik), zugleich aber auch von niedrigem Gestaltungsspielraum geprägt sei. Dieser Zusammenhang verstärke sich noch weiter, wenn der soziale Rückhalt am Arbeitsplatz fehle. Geändert hat diese Erkenntnis wenig.

2014 wurde ein Strukturwandelbarometer von der Arbeiterkammer Wien in Auftrag gegeben. 65% der dort befragten Betriebsräte berichteten über einen Anstieg des Zeitdrucks innerhalb eines Halbjahres, und 60% sahen einen Zuwachs der Flexibilitätsanforderungen im Unternehmen. Die Evaluierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ist gesetzlich vorgeschrieben, indes: „Bisher erfüllen aber noch viel zu wenige Betriebe diese gesetzlich vorgeschriebene Fürsorgepflicht”, kritisiert Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske und sieht die Unternehmen in der Pflicht: „Die Durchführung der Evaluierung psychischer Belastungen ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung für die Betriebe, sondern auch eine Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Für die Beschäftigten werden gesunde Arbeitsbedingungen geschaffen, für die Unternehmen entstehen weniger Kosten, da die Zahl der Krankenstände sinkt, die ­Fluktuation abnimmt und die Produktivität zunimmt.”
So wie unselbstständig Beschäftigte generell, leiden übrigens auch Führungskräfte zunehmend unter Stress: Das Wirtschaftsforum der Führungskräfte hat in seiner Gesundheitsstudie 2015 erhoben, dass Stress 57% der Manager zusetzt. Bei der Befragung sind unter gesundheitlichen Schwierigkeiten psychische Probleme um fünf Prozent häufiger angegeben worden.
Die gesamtwirtschaftlichen Kosten der arbeitsbedingten psychischen Belastungen in Österreich belaufen sich auf rund 3,3 Mrd. Euro im Jahr, psychische Probleme von Arbeitnehmern sind der Grund für 3,6% weniger Wirtschaftsleistung. Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung von Arbeitnehmern sind verminderte Produktivität, häufigere und längere Krankenstände, ein früherer Pensionsantritt und häufigere Arbeits­losigkeit.

Belastungen für Sozialsystem

Vor allem bei den Invaliditätspensionen sieht man die Steigerung: Gingen 1995 nur zehn Prozent wegen psychischer Erkrankungen in die Invaliditätspension, war es 2013 bereits ein Drittel. Seit 2014 gibt es für unter 50-Jährige statt dieser Form der Pension das Reha-Geld. Dieses beträgt 60% des letzten Bruttoeinkommens und wird höchstens ein Jahr lang ausgezahlt. Mit dem Rehab-Geld soll versucht werden, zu frühe Pensionierungen zu vermeiden, wenn ein Wiedereinstieg ins Berufsleben möglich ist. Über 18.500 Menschen wurde dieses Geld mit Ende des vergangenen Jahres ausgezahlt und fast drei Viertel der Bezieher erhielten es aufgrund psychischer Erkrankungen. Über 3.000 Menschen sind 2015 aus diesem Bezugssystem wieder herausgefallen: Immerhin 41% der Menschen, die Rehab-Geld bezogen haben, wurden wieder als gesund eingestuft und somit wieder fit für den Arbeitsmarkt. Aber 48% waren dauerhaft berufsunfähig und mussten in Pension gehen, sieben Prozent verstarben und vier Prozent wurde das Geld wieder entzogen, weil sie sich nicht an die Rehabilitationsmaßnahmen gehalten haben oder aus anderen Gründen.

Damit Arbeitnehmer wegen psychischer Probleme nicht vorzeitig in der Pension landen, muss man in diesem Bereich ansetzen. Psychopharmaka bieten nicht die einzige Möglichkeit, dagegen zu kämpfen: Eine Studie hat erst kürzlich ergeben, dass eine Psychotherapie genauso wirkungsvoll sein kann wie diese Medikamente. „Viele Patienten mit Depressionen sind auf der Suche nach wirksamen Alternativen zur medikamen­tösen Behandlung. Unsere Studie zeigt, dass mit der kognitiven Verhaltenstherapie eine gleichermaßen verlässliche, evidenzbasierte Möglichkeit für die Erstbehandlung zur Verfügung steht”, sagt Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie an der Donau-Universität Krems. Er hat gemeinsam mit US-amerikanischen Kollegen 45 Studien analysiert, die verschiedene Therapieansätze bei schweren Depressionen mit modernen Antidepressiva verglichen haben.

Teure Chance

Eine Psychotherapie ist eine Chance auf Heilung ohne Nebenwirkung, die allerdings ihren Preis hat. In Österreich zahlen nicht alle Krankenkassen gleich viel zu einer Psychotherapie dazu: Bei der Sozialversicherung der Bauern gibt es seit 1. Jänner 50 Euro Zuschuss, die BVA zahlt schon seit 2014 40 Euro dazu, für Versicherte bei den Eisenbahnern und im Bergbau gibt es 28 Euro, während die Gebietskrankenkassen nur 21,80 Euro zu einer Therapiestunde beisteuern. „Die Zuschusshöhe entscheidet für viele Menschen darüber, ob eine Psychotherapie überhaupt leistbar ist”, erklärt Peter Stippl, Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie. Es gibt zwar Therapieplätze, die zur Gänze von den Sozialversicherungen bezahlt werden, die Wartezeiten dort können allerdings Monate betragen. Wenn man Psychotherapie als private Leistung bezieht, bewegen sich die Honorare in Österreich zwischen 70 und 150 Euro für eine 50-minütige Einzelsitzung. „40 Euro sollte das Minimum für alle Kassen sein”, fordert Stippl: „Wir müssen endlich wirklich gegensteuern und das für alle Versicherten. Wie viel eine Psychotherapie kostet, darf nicht wie Lottospielen sein – je nach ­Sozialversicherung hat man Glück oder Pech.”

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