Stöger: „Beschäftigte gesund im Arbeitsleben halten”
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HEALTH ECONOMY Martin Rümmele 29.04.2016

Stöger: „Beschäftigte gesund im Arbeitsleben halten”

Sozialminister Alois Stöger kündigt im medianet-Interview Maßnahmen an, um krankheitsbedingte Frühpensionierungen zu senken.

••• Von Martin Rümmele


Wachsende Belastungen am Arbeitsmarkt machen sich auch in Gesundheitsstatistiken bemerkbar. Psychische Erkrankungen nehmen zu, die Krankenstandszahlen steigen. Im Interview mit media­net skizziert Arbeits- und Sozialminister Alois Stöger (SPÖ), wie er hier gegensteuern will. ­Stöger ist auch zuständig für die Pensionsversicherung und diese soll entlastet werden, betont er.


medianet: Zuletzt wurde viel über die steigende Zahl psychischer ­Erkrankungen diskutiert, die auch zu steigenden Ausfällen in Unternehmen, Krankenständen und Frühpensionierungen führen. Wie groß ist das Problem Ihrer Ansicht nach wirklich?
Alois Stöger: Beim Pensions­gipfel wurde das Ziel definiert, dass möglichst viele Menschen gesund zum Regelpensionsalter in Pension gehen. Wir wollen die Menschen nicht einfach frühzeitig in Pension schicken, sondern die Systeme so einrichten, dass die Menschen das Pensionsalter gesund erreichen können. Gleichzeitig bin ich gegen eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters. Dazu ist einiges zu tun. Etwa die Frage, wie wir die Menschen so begleiten können, dass sie wieder gesund werden. Eine Invaliditätspension soll nur dann geschehen, wenn es nicht anders geht.

medianet: Die Zahlen sind aber gestiegen.
Stöger: Wenn mehr als 40 Prozent der Reha-Geld-Bezieher wieder als gesund eingestuft und zurück ins Arbeitsleben kommen können, dann ist das ein zufriedenstellendes Ergebnis und auch ein Fortschritt gegenüber der früheren Invaliditätspension. Trotzdem muss man das System der Rehabilitation weiterentwickeln. Besonderes Augenmerk muss man auf die Früherkennung von gesundheitlichen Problemen legen, denn je früher Maßnahmen gesetzt werden, desto effizienter sind sie.

medianet: Wie sieht es mit den ­Angeboten aus – etwa im Kur- und Rehabereich, der ja teilweise über die Pensionsversicherung finanziert wird?
Stöger: Wir brauchen etwa im Bereich psychische Rehabilitation sicherlich neue Einrichtungen. Vor allem müssen wir die berufliche und gesundheitliche Reha verknüpfen. Hier gibt es verschiedenen Denkschulen. Aber ich bin dafür, beides zu stärken. Bisher ist das ein Thema der Sozialversicherungsträger-Logik. Wir haben hier allerdings Änderungen gesetzt. Wichtig ist, dass das angeboten wird, was die jeweilige Person braucht.
medianet: Im Bereich der Kur gab es im Vorjahr Kritik der Wirtschaftskammer ...
Stöger: Der Hintergrund war, Kosten zu sparen. Hier gibt es eine ökonomische Betrachtungsweise der Wirtschaftskammer. Es ist natürlich immer nötig, zu überprüfen, ob gesetzte Maßnahmen funktionieren. Wir müssen uns aber auch hier fragen, was die Menschen benötigen, damit sie dann auch wieder arbeiten können.

medianet: Stichwort Arbeit – Sie sind auch Arbeitsminister. Unternehmen suchen zunehmend Fachkräfte – fallen weniger qualifizierte Jobs weg?
Stöger: Da ist die Frage, was Qualifikation ist. Menschen, die so argumentieren und meinen, dass es auch Jobs für sogenannte weniger qualifizierte Menschen braucht, bekommen wahrscheinlich keinen Fleck aus dem Teppich, Reinigungskräfte schon. Wir müssen aber auch feststellen, dass es viele Unternehmen gibt, die sich aus der Lehrlingsausbildung verabschiedet haben. In der aktuellen Erhebung zeigt sich aber, dass Personen mit Lehrabschluss nur halb so oft von Armut oder Ausgrenzung betroffen sind wie jene mit Pflichtschulabschluss. Es ist daher besonders wichtig, dass jeder junge Mensch eine entsprechende Ausbildung erhält, die über den Pflichtschulabschluss hinausgeht. Auch die Ausbildungspflicht ist daher eine wichtige Maßnahme zur Armutsbekämpfung.

medianet: Wie ist generell die Entwicklung am Arbeitsmarkt?
Stöger: Die grundsätzlichen Trends der vergangenen Monate am österreichischen Arbeitsmarkt setzen sich somit im Wesentlichen fort: Weiter steigendes Arbeitskräfteangebot, relativ kräftig steigende Beschäftigung, aber auch weiter zunehmende Arbeitslosigkeit. Die Jugendarbeitslosigkeit bleibt weiterhin rückläufig, und die Zahl der gemeldeten offenen Stellen liegt deutlich über dem Vorjahreswert.

medianet: Wie kann man gegensteuern?

Stöger: Eine Entlastung des Arbeitsmarkts kann nur mit einer deutlichen investitionsfördernden Politik in ganz Europa erreicht werden. Es gilt, auf EU-Ebene zusätzliche Spielräume für Infrastrukturmaßnahmen zu schaffen. Klar sein muss aber auch, dass bei steigender Arbeitslosigkeit mehr Mittel für aktive Arbeitsmarkt­politik zur Verfügung stehen müssen. Gerade in der Situation eines steigenden internationalen Wettbewerbs ist es auch wichtig, vor Billigkonkurrenz, Lohndruck und Sozialdumping zu schützen. Es geht mir um die Sicherstellung von Mindestrechten. Nach Österreich entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen zu denselben Arbeitsbedingungen beschäftigt werden wie in Österreich ­Beschäftigte.

medianet: Wie sehen die Zahlen konkret aus?
Stöger: Das Arbeitskräftepotenzial liegt in Österreich Ende März mit 3,92 Millionen Personen um rund 56.000 über dem Niveau des Vorjahres. Knapp 90 Prozent des zusätzlichen Arbeitskräfteangebots findet auch einen Arbeitsplatz, der darüber hinausgehende Anteil führt allerdings zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Aktuell sind in Österreich somit 3.555.000 Personen unselbstständig Beschäftigt. Das bedeutet einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 49.000 oder 1,4 Prozent. Insgesamt wurden dem Arbeitsmarktservice im ersten Quartal des heurigen Jahres 121.000 offene Stellen gemeldet, das sind um 8,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Ende März sind damit noch 36.764 gemeldete Stellen offen, das bedeutet einen Anstieg um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

medianet: Wie stark wirkt sich der Druck am Arbeitsmarkt aus? Nimmt die Armut in Österreich zu?
Stöger: 1,5 Millionen Menschen waren im Jahr 2015 aufgrund ihres geringen Einkommens, erheblicher Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen oder einer niedrigen Erwerbsbeteiligung in Österreich armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. 385.000 Menschen sind von mindestens zwei dieser drei Merkmale betroffen. Das ist zu viel. Zwar liegt die Armutsgefährdung in Österreich deutlich unter dem EU-Schnitt, und auch im Vergleich zu den Vorjahren zeigt sich eine positive Tendenz. Auf diesen Lorbeeren dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Wir müssen aktiv an einer weiteren Reduktion arbeiten und Maßnahmen setzen, um die Armut in Österreich wirksam zu bekämpfen und so für soziale Sicherheit zu sorgen.

medianet: Wer ist dabei besonders betroffen?
Stöger: Für bestimmte Bevölkerungsgruppen besteht nach wie vor ein hohes Risiko für soziale Benachteiligung. Dazu zählen etwa Ein-Eltern-Haushalte, kinderreiche Familien, Langzeitarbeitslose, Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft und gering Qualifizierte. Immerhin zeigt sich aber für Österreich – anders als im EU-Schnitt – ein positiver Trend. So gingen gegenüber dem Vorjahr alle drei Faktoren – Armutsgefährdung, geringe Erwerbsbeteiligung und erhebliche materielle Deprivation – zurück. Auch im Gesamtzeitraum seit 2008 zeigt sich eine sinkende Tendenz der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich.

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