Additive Fertigung wird zur großen Boom-Branche
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INDUSTRIAL TECHNOLOGY 27.11.2015

Additive Fertigung wird zur großen Boom-Branche

Neue Maschinen und Materialien öffnen den 3D-Druck für immer mehr Bereiche und bringen satte Wachstumsraten.

••• Von Britta Biron

FRANKFURT/MÜNCHEN. Spätestens dann, wenn für neue Technologie nicht mehr „nur” Sonderschauen auf etablierten Fachmesse, sondern eigene Messen veranstaltet werden, hat sie den Schritt vom Labor in die industrielle Realität vollzogen. Das gilt für den 3D-Druck bzw. die Additive Fertigung gleich in zweifacher Hinsicht.

So hat die Demat heuer neben der traditionellen Euromold erstmals die Euromold Advanced Manu­facturing veranstaltet, die sich gezielt den Themen Additive Fertigung, Smart Factory/Indus­trie 4.0 und dem Internet der Dinge widmete. Vorige Woche folgte dann die Messe Frankfurt mit der ersten „Formnext” sowie einer begleitenden Konferenz.
„Additive Manufacturing wird die Fertigungstechnik in Zukunft nicht nur ergänzen, sondern auch entscheidend prägen”, ist Peter Leibinger, Vorsitzender der Trumpf Laser- und Systemtechnik GmbH, überzeugt, die auf der Formnext neue Maschinen für das 3-D-Drucken von Metallteilen präsentiert hat.

Mehr als 30% Wachstum

Wie dynamisch sich der Markt für 3D-Druck entwickelt, zeigen verschiedene Analysen. So rechnet das US-amerikanische Beratungsunternehmen Gartner Inc . für heuer mit einer Absatzmenge von 244.500 ­Geräten, für das nächste Jahr mit einer Verdoppelung auf 500.000, und für 2019 werden 5,6 Mio. verkaufte Geräte prognostiziert.

Auch die internationale Managementberatung Bain & Company geht von einem rasanten Wachstum aus. Dieser Analyse zufolge werden die jährlichen Umsätze um jeweils rund 30% steigen und 2020 bei mehr als 16 Mrd. € liegen.
Auch wenn der 3D-Druck erst am Anfang steht – im gesamten Fertigungssektor entfallen darauf erst 0,03% –, zeigt sich bereits jetzt das große Anwendungsspektrum – vom Zahnersatz über Werkzeuge, Prototypen, Bauteile für Autos bis zur Rekonstruktion historischer Denkmäler.

Modell to Print

Sandro Piroddi, Chef der Europa-Zentrale des Ford „Rapid”-Prototypen-Teams: „Aktuell entwickelt sich diese Technologie schneller als je zuvor, und es eröffnen sich völlig neue Wege bei der Herstellung der Autos der Zukunft.”

Als erster Automobilhersteller bietet Ford die Technologie auch seinen Kunden an. Über den neuen Online-Store http://3d.ford.com können gegen eine geringe Gebühr die lizensierten 3D-Druckdaten erworben und heruntergeladen werden, um zu Hause am eigenen 3D-Drucker ein maßstabsgetreues Modellauto zu printen.

Innovation von Wacker

Der Großteil der Innovationen ist allerdings keine Spielerei, sondern dient der Weiterentwicklung, etwa bei den druckbaren Materialien. Denn bisher stehen für die additive Fertigung vor allem Kunststoffe und Metalle zu Verfügung.

Vor Kurzem hat der deutsche Chemiekonzern Wacker bekannt gegeben, gemeinsam mit der ­enders Ingenieure GmbH ein Verfahren entwickelt zu haben, mit dem auch Objekte aus Silicon im 3D-Druck gefertigt werden können.
„Spritzguss ist das etablierte Verfahren für die Serienproduktion; das wird auch so bleiben”, sagt Bernd Pachaly, Leiter der Siliconeforschung bei Wacker. „Aber diejenigen, die Prototypen entwerfen oder nur wenige Exemplare eines Bauteils produzieren wollen, können solche Kleinserien jetzt schnell und flexibel fertigen und dabei immer neuen Anforderungen anpassen; darin besteht der eigentliche Mehrwert des Verfahrens.”
Pachaly sieht für den Silikon-3D-Druck zahlreiche Einsatzmöglichkeiten – von der individualisierten Backform über Autoschläuche bis zu maßgefertigten Implantaten, die sogar während einer Operation passend für den Patienten gefertigt werden könnten.
„Wir haben viele Ideen und wollen unseren Kunden mehr zur Verfügung stellen, als nur das Silicon für die additive Fertigung”, sagt er.
In Kürze will Wacker als erster Siliconhersteller ein komplettes 3D-System inklusive Maschinen und Software anbieten können.

Neue Forschungskooperation

Geforscht wird auch bei den Anlagen für die additive Fertigung. So haben sich die Partner – 3D-Schilling, Glamaco Engineering, Granula Deutschland, Mebitec Meerbuscher Informationstechnik, Optris, TU Ilmenau, das Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF sowie die EAH Jena – des in der Vorwoche in Deutschland gestartete Forschungsverbundprojekt High Performance 3D-Druck (HP3D) das Ziel gesetzt, eine Anlage zu entwickeln, mit der praktisch alle verfügbaren thermoplastischen Kunststoffe verarbeitet werden können. Damit will man die bisherigen Einschränkungen hinichtlich der Material-Maschinen-Kombination deutlich erweitern.

Fahrplan für 3D-Druck

Je weiter die technische Entwicklung fortschreitet und je ausgereifter die Geräte und Materialien werden, desto interessanter wird die additive Fertigung für viele Unternehmen. Die Untermehmensberatung Bain & Company hat dafür Chancen und Risiken analysiert.

Dabei zeigt sich, dass es klarerweise keine allgemeingültigen ­Regeln gibt, sei es beim Einsatzgebiet oder ob die Technologie ad hoc oder Schritt für Schritt implementiert wird.
„In der Prototypenfertigung hat sich die Technologie als überlegen bei Kosten und Schnelligkeit erwiesen. Dies ist häufig eine gute Ausgangsbasis für die Ausweitung der Produktion auf die Endkunden oder für das Produkt-Redesign”, erläutert Michael Schertler, Partner und Industrieexperte bei Bain & Company.
3D-Druck wirkt sich aber in jedem Fall auf die Lieferkette aus, da die Technologie Entscheidungen beeinflusst, ob Produkte zugekauft oder selbst hergestellt werden. „Deshalb müssen die Folgen für die wichtigsten Lieferanten gut geprüft werden”, sagt Schertler.
Zu bedenken ist auch, dass der 3D-Druck Änderungen in der Unternehmensstruktur erfordert. Wie weit diese reichen, hängt davon ab, an welcher Stelle in der Wertschöpfungskette er eingesetzt wird und wie tief die Integration geht. Möglich ist, dass Verantwortlichkeiten wechseln, aber sich auch ganze Abteilungen vergrößern oder verkleinern.
Typischerweise verschiebt die Einführung der 3D-Drucktechnologie den Schwerpunkt – weg vom Betrieb der Produktionsanlage und dem Supply Chain Management hin zu Engineering und Produktionsplanung. 3D-Druck ist eine kapitalintensive Technologie, die Kapazitäten im Betrieb der Produktionsanlage, im Rohstoffmanagement und in der Nachbearbeitung freisetzt. Gleichzeitig ist mehr Augenmerk auf Maschinenauslastung und -leistung zu legen.

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