Dezentral und digital – das wird die Märkte verändern
© Siemens/Philipp Lipiarski
Energetische Experten: Reinhard Pinzer, Hermann Meyer (beide Siemens), Heinz Sitter (KELAG), Peter Weinelt (Wiener Stadtwerke), Gerd Pollhammer (Siemens, v.l.).
INDUSTRIAL TECHNOLOGY PAUL CHRISTIAN JEZEK 24.06.2016

Dezentral und digital – das wird die Märkte verändern

Unter dem Motto „Agility in Energy” präsentierte Siemens 350 Top-­Entscheidungsträgern die Zukunftstechnologien der Energiebranche.

••• Von Paul Christian Jezek

So gut wie nichts „bewegt” die Energiebranche derzeit so sehr wie die zunehmende Dezentralisierung und Digitalisierung. Die Unternehmen sind dabei gefordert, flexibel zu reagieren, sich an die Bedingungen eines rasant wandelnden Energiemarkts anzupassen und neue Chancen zu nutzen.

Ein wesentlicher Faktor wird dabei für den Erfolg immer wichtiger: Agilität im Energiegeschäft. Unter dem Motto „Agility in Energy” präsentierte deshalb Siemens am 16. Juni rund 350 Kunden und Entscheidungsträgern aus Österreich und CEE zukunftsweisende Technologien und Lösungen für die Energiebranche in der Wiener Unternehmenszentrale Siemens City.

Das Mega-Thema

Die Nachfrage nach elektrischer Energie wächst laut Experten doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung und wird bis zum Jahr 2030 um rund 60% steigen.

Der Wandel der Energiemärkte, das Aufkommen unkonventioneller Energieträger, die zunehmende dezentrale Energieerzeugung, neue Formen der Energieumwandlung und die verstärkte Digitalisierung bringen daher massive Herausforderungen, aber auch große Chancen mit sich. Eine zuverlässige und finanziell tragbare Energieversorgung ist unverzichtbar für die gesellschaftliche Entwicklung und den Wohlstand – seit der Liberalisierung und der Energiewende sind die Akteure des Energiemarkts gefordert, Rahmenbedingungen zu gestalten und Innovationen voranzutreiben, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.
Um die weltweiten Energievorräte effizienter zu nutzen und zugleich eine kontinuierliche Kohlenstoffreduzierung für den Klimaschutz zu verfolgen, müssen erneuerbare Energiequellen entwickelt werden, die wirtschaftlich realisierbar und flexibel sind. Zudem braucht man ein intelligentes Stromnetz, einen hohen Anteil an dezentral verteilter Energieerzeugung und höchstmögliche Energieeffizienz.

Weltkompetenz für GuD

Am Markt für Gas und Dampf (GuD)-Kraftwerke in der Indus­trie, bei Kommunen, aber auch bei klassischen Kraftwerksbetreibern, zeichnet sich ein kontinuierlicher Trend in Richtung dezentraler Energieversorgung mittels kleiner, maßgeschneiderter Einheiten ab.

Siemens hat daher die weltweite Kompetenz für industrielle Kraftwerkslösungen in Wien gebündelt. Das Leistungsspektrum des Weltkompetenzzentrums umfasst Engineering, Lieferung, Montage und Inbetriebsetzung von schlüsselfertigen GuD-Kraftwerken auf der Basis von Industriegasturbinen zwischen 20 und 60 MW.
Kürzlich hat Siemens in diesem Bereich einen Auftrag für gleich drei Kraftwerke in Bolivien erhalten – mehr darüber rechts oben.

345.000 Smart-Meter

Ein Thema von eminenter Bedeutung sind auch Smart-Metering-Lösungen – Siemens rüstet aktuell die Netze der KNG – Kärnten Netz GmbH und der Stadtwerke Kapfenberg mit Hard- und Software dafür aus und stellt die Infrastruktur zur intelligenten Messdatenerfassung zur Verfügung. Der Auftrag umfasst ein Gesamtsystem aus intelligenten Messgeräten (Smart-Metern), sicherer Übertragungstechnik sowie IT-Systemen zur Datenerfassung und Datenverarbeitung inklusive Schnittstellen zur bestehenden Infrastruktur der KNG, wie dem SAP-System und dem Online-Netzkundenportal.

Die KNG wird bis Herbst dieses Jahres mit der digitalen Smart-Grid-Plattformlösung EnergyIP von Siemens ausgestattet; bis 2018 werden dann in der ersten Tranche 95.000 analoge Stromzähler durch Smart-Meter ersetzt, wobei 2016 bereits mehrere Tausend Smart- Meter in Betrieb gehen werden. Für den flächendeckenden Rollout besteht eine Option für insgesamt 345.000 Smart-Meter. Das Großprojekt hängt unmittelbar mit den Klimazielen der EU zusammen: Bis Ende 2020 müssen gemäß EU-Richtlinie 80% der Haushalte mit intelligenten Messgeräten ausgestattet sein.
Dem Auftrag ging ein erfolgreicher Feldversuch in der Gemeinde Ferlach voraus. Erfahrungen aus diversen Smart-Grid-Pilotprojekten in ganz Österreich wie z.B. Smart City Villach fließen in das Projekt ein. „Das Know-how und die Forschungsaktivitäten, die Siemens in Österreich bündelt, markieren einen wesentlichen Wegpunkt im Übergang vom klassischen Stromnetz hin zum Smart-Grid”, erklärt Generaldirektor Wolfgang Hesoun.
Nach Abschluss des Auftrags verfügen KNG und Stadtwerke Kapfenberg über ein leistungs­fähiges Smart-Metering-Gesamtsystem, das den österreichischen und europäischen Rahmenbedingungen für den Rollout von Smart- Metern entspricht. „Damit wird das Kärntner Stromnetz digitalisiert”, erklärt Gerald Obernosterer, Projektleiter Smart-Metering der KNG-Kärnten Netz GmbH. „Durch die Einführung des Smart-Metering-Gesamtsystems werden Arbeitsabläufe und Datenhaltung optimiert.”
Höchste Priorität hat in einem Smart-Metering-System die Datensicherheit für Stromkunden und Netzbetreiber: Siemens wird das Projekt gemeinsam mit seinem verbundenen Unternehmen Omnetric GmbH gemäß dem Anforderungskatalog für Ende-zu-Ende-Sicherheit und den Smart-Metering-Use-Cases für das Advanced Meter Communication System (AMCS) von Österreichs Energie implementieren. Darüber hinaus wird G3-PLC-zertifizierte Übertragungstechnik zum Einsatz kommen. Um die Interoperabilität und Austauschbarkeit von verschiedenen Zählerherstellern zu gewährleisten, werden Datenprotokolle gemäß den Standards der IDIS Association eingesetzt.

Eine Weltpremiere

Im Siemens-Transformatorenwerk in Weiz wurden soeben die global ersten Plug-and-Play-Transformatoren entwickelt. Mit dieser Lösung können Energieversorger bei einem Transformatorausfall, etwa nach Naturkatastrophen, die Stromversorgung in den betroffenen Gebieten innerhalb von ein bis drei ­Tagen wiederherstellen und nicht erst nach mehreren Wochen, wie durch den Transport und die Installation herkömmlicher Ersatzeinheiten üblich.

Die ersten sechs Geräte liefert Siemens an Con Edison, das Stromversorgungsunternehmen für New York City und die umliegenden Regionen. Mit den mobilen Plug-and-Play-Transformatoren kann Con Edison schnell reagieren, wenn mehrere Transformatoren betroffen sind und die Probleme mit normalen Ersatzteilen oder redundanten Systemen nicht behoben werden können.

Völlig neue Möglichkeiten

Die neuen Transformatoren sind hinsichtlich Spannung, Nennleistung und Impedanz sowie durch den Einsatz umweltfreundlicher Esterflüssigkeiten in Bezug auf Gewicht und Abmessungen hochgradig optimiert. „Dieser Transformator bietet uns völlig neue Möglichkeiten, die Stromversorgung wieder herzustellen, falls ein Hochspannungstransformator aus irgendeinem Grund ausfällt”, erläutert Sanjay Bose, Vice President of Central Engineering bei Con Edison. „Viele Eigenschaften der innovativen Konstruktion werden als Modell für zukünftige Transformatoren dienen, die wir in unserer Versorgungsregion einsetzen.”

Bei der Konstruktion der neuen mobilen Plug-and-Play-Transformatoren wird Wert auf möglichst große Mobilität gelegt, um den Aufwand für den Transport und die Installation vor Ort zu minimieren. Darüber hinaus sieht dieses Transformatorenkonzept vorinstallierte Kühlsysteme und den Betrieb auf mehreren Spannungsstufen vor. Durch diese vielseitigen Einsatzmöglichkeiten benötigen die Versorgungsunternehmen weniger Ersatzeinheiten und können diese an verschiedenen Standorten nutzen. Spezielle Plug-and-Play-Steckdurchführungen und -Anschlüsse verkürzen die Installationsdauer auf etwa ein bis zwei Tage statt Wochen und machen Eingriffe ins Transformatorinnere bei der Betriebssetzung und eine Ölfüllung am Installationsort überflüssig.
„Traditionell ist der Austausch von Transformatoren nach einem Hurrikan oder einem gravierenden Vorfall an einer Umspannstation ein komplexer, teurer und extrem zeitaufwendiger Prozess, der erhebliche Personalkosten verursacht”, sagt Beatrix Natter, CEO der Business Unit Transformers bei Siemens. „Mit diesen ‚Mobile Resilience Transformers' ergänzt Con Edison sein bereits umfangreiches Konzept für die Wiederherstellung der Versorgung, sodass sich defekte Transformatoren mit einem Bruchteil des üblichen Zeit- und Kostenaufwands austauschen lassen und eine zuverlässigere Energieversorgung im Übertragungsnetz sichergestellt werden kann.”

Umweltfreundlich

Da die Transformatoren für den Betrieb auf mehreren Spannungsstufen ausgelegt sind, muss das Versorgungsunternehmen nicht in einen eigenen mobilen Transformator für jede einzelne Nennspannung investieren. Um die Größe und das Gewicht der Transformatoren zu minimieren, kommen ein Hochtemperatur-Isolationsmaterial sowie Zwangsölkühlung und ­Esterflüssigkeit zum Einsatz.

Und noch ein gravierender Vorteil: Durch die Isolation mit einem umweltfreundlichen, leicht abbaubaren synthetischen Ester können die Transformatoren auch näher an Flüssen oder in anderen umweltsensiblen Bereichen installiert werden.

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