Die Industrie braucht die Talentierten
© IV Kärnten/Eggenberger
Moderator Stefan Posch, Felix Thun-Hohenstein (3M Precision Grinding), Josef Affenzeller (AVL List), Thomas Platzer (Logicdata), Isabell Welpe (TU München), Christoph Kulterer (Präsident IV Kärnten), Markus Leeb (Leeb Balkone), Gaby Schaunig (LHStv. Kärnt
INDUSTRIAL TECHNOLOGY Redaktion 11.01.2018

Die Industrie braucht die Talentierten

Steirisch-kärntnerische Innovationsgespräche im Klagenfurter Lakesidepark zum Thema “Innovationskultur”.

KLAGENFURT. Isabell Welpe, Spezialistin für den digitalen Wandel, appelliert an Unternehmer, schneller und beweglicher zu werden, sich außerdem mehr um junge Talente zu kümmern. Die Wissenschaftlerin vom Institut für Strategie und Organisation der TU München vergleicht die Unternehmensführung heute mit dem Wildwasserpaddeln: Man müsse ständig etwas tun, um erfolgreich zu bleiben. Die Halbwertszeit des durchschnittlichen Betriebs sei von 30 auf fünf Jahre gesunken – für viele gehe es also schlicht ums Überleben.

Innovation sei da ein ganz wesentlicher Faktor. Die Realität zeige aber, dass bei den meisten Firmen mit zunehmendem Alter die Innovationskraft und die Beweglichkeit eher ab- denn zunehme, so Welpe. Die Gefahr durch Konkurrenz werde unterschätzt, erst recht in Zeiten, in denen digitale Geschäftsmodelle traditionellen Konzepten immer mehr zusetzen. Da reiche es nicht, das Bonbon seines bisherigen Erfolgs immer weiter auszulutschen, Effizienz und Qualität zu verbessern – irgendwann sei die Reserve weg.

Gravierende Veränderungen
Wo sieht Welpe nun die wichtigsten Handlungsfelder? Erfolg stehe und falle zunächst mit den Talenten oder vielmehr mit den Talentierten. Wer komme ins Unternehmen, fragt Welpe - und wer steige auf? Sie zeigt Bilder von Tätowierten und von Leuten, die sich so ganz und gar nicht an das gewohnte Business-Outfit halten wollen. Die Frage sei inzwischen umgekehrt zu formulieren: „Wollen diese Talentierten überhaupt zu Ihnen?” Oder: Können Sie sie halten? Wollen Sie denn mit Leuten leben, die sich mit Regeln schwer tun, aber gleichzeitig hoch kreativ sind?

Denken Sie an morgen!
Innovation und vor allem Durchbruchsinnovation gehe mit gravierenden Veränderungen in den Unternehmen einher: Arbeit und Zusammenarbeit finde über die Wertschöpfungsketten statt, in Teams mit zeitlich begrenzten Rechten und Pflichten. Die Macht verteile sich horizontal, man organisiere sich zunehmend bottom up statt top down. Und für Welpe ganz entscheidend: „Man beschäftigt sich mit dem Tagesgeschäft genauso wie mit dem Geschäft von morgen.” Da wisse man oft zwar ziemlich genau, wo man hinwolle, aber nicht, wie man dorthin komme. Risiko, Geschwindigkeit und Experimentierfreude nennt sie als wesentliche Erfolgsfaktoren.

Ein anderer wesentlicher Aspekt ist die neue Kundenorientierung; hier versuchen die erfolgreichen Unternehmen inzwischen nicht mehr die Bedürfnisse zu befriedigen, die diese konkret äußern, sondern eher deren Probleme zu lösen und damit Bedürfnisse zu wecken, die sie noch gar nicht haben! Immer wieder fallen die Namen der großen digitalen Firmen wie Google, Apple, Uber, Amazon, Netflix und Co.  Welpe betont mehrfach, dass einem die beste Technologie nicht helfe, wenn das Geschäftsmodell nicht funktioniere. Aber die gute Nachricht sei, dass gerade in so turbulenten Zeiten Werte wie Vertrauen und Fairness ihre Bedeutung behalten.

Der Mensch im Mittelpunkt
Auch in der Podiumsdiskussion mit Unternehmervertretern wurde die Abhängigkeit der Innovationsfähigkeit von kreativen Talenten offenkundig. Felix Thun-Hohenstein, Geschäftsführer von 3M Precision Grinding in Österreich, meinte, dass vor allem die Menschen wichtig seien und die Kultur drumherum gebaut werden müsse. Bei 3M gilt schon lange die 15%-Regel: Hier dürfen die Mitarbeiter 15% ihrer Zeit dazu verwenden, eigenen Projekten nachzugehen. Dadurch entstünden viele Ideen, die dann im Innovationsprozess selektiert werden.

Markus Leeb von Leeb Balkone musste kundenbedingt in relativ kurzer Zeit seine Produktpalette von Holz- auf Alubalkone umstellen – ohne die Offenheit der Mitarbeiter wäre das nicht möglich gewesen.

Josef Affenzeller von AVL List, einer ursprünglich klassischen Engineering-Firma, die u.a. in der Motorenentwicklung tätig ist, berichtete, wie man sich sukzessive immer mehr zum Softwareentwickler gewandelt habe. Ausschließlich im eigenen Unternehmen sei das nicht möglich gewesen, man habe auch zugekauft. Für ihn ist wichtig, dass sich junge Talente im Unternehmen wohlfühlen und die nötige Unterstützung finden. Auch die Human-Ressource-Abteilung solle in Unternehmenskultur und Innovation eingebunden sein.

Für Thomas Platzer von Logicdata, einem Unternehmen aus Deutschlandsberg, das Elektronik und Mechatronik für Möbel entwickelt und herstellt, sind Freundschaft und Vertrauen über alle Hierarchien das Erfolgsgeheimnis der Unternehmens- und Innovationskultur. Schon bei der Einstellung neuer Mitarbeiter werde sehr genau darauf geachtet, dass der- oder diejenige ins Team passe. Hier hatte Welpe darauf hingewiesen, dass nicht Harmonie das Ziel sein dürfe, sondern kreative Ergänzung. Man solle doch die ganze Organisation durch neue Leute verändern. Den eigenen Talenten zuzuhören, sei jedenfalls auch besser, als externe Berater zu engagieren. (pj)

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