Dank Addressable TV gibt’s Spots à la carte
© AFP/picturedesk.com
MARKETING & MEDIA Dinko Fejzuli 13.01.2017

Dank Addressable TV gibt’s Spots à la carte

Nicht nur die TV-Geräte sind mittlerweile „smart”. Dank HbbTV & Streaming ist es auch die Werbung.

••• Von Dinko Fejzuli

 

Was die Ausstattung mit TV-Geräten betrifft, liegt in Österreichs Haushalten schon seit Jahren praktisch eine Vollversorgung vor: Im 1. Halbjahr 2016 verfügten 98% aller österreichischen Privat-Haushalte über ein Fernsehgerät. Die Zahlen für das zweite Halbjahr liegen noch nicht vor, dürften aber davon nicht sehr abweichen. 95% der TV-Haushalte waren im 1. Halbjahr 2016 mit einem Flatscreen-Fernsehgerät ausgestattet; damit nahm die Flatscreen-Verbreitung gegenüber dem Vorjahr (Ende 2015: 93%) weiter zu und hat sich in den letzten acht Jahren verfünffacht (Ende 2007: 19%).

23% haben Smart TV

In nahezu allen TV-Haushalten kann Teletext empfangen werden (1. Hj. 2016: 99%), und ein internetfähiges TV-Gerät bzw. ein Smart-TV befindet sich im 1. Halbjahr 2016 in 23% der TV-Haushalte (Tendenz steigend).

Womit wir mitten im Thema Addressable TV wären: Dabei geht es um nichts weniger, als die Möglichkeit, dank einer Mischung aus der Verfügbarkeit von soziodemografischen Daten über den betreffenden Haushalt auf der einen Seite und der technischen Machbarkeit auf der anderen Seite – rein theoretisch – irgendwann jeden einzelnen TV-Haushalt mit maßgeschneiderten Einzelspots zu bespielen.

Einige Pilotprojekte

In den USA hat Volkswagen das bereits im Jahr 2013 in einem Pilot­projekt ausprobiert – und seine Verkaufszahlen deutlich gesteigert.

Das Branchenmagazin Adage stellte vor, wie Addressable TV in den Staaten funktioniert: Die Marketingfachleute in den Unternehmen legen ihre Zielgruppen-Haushalte nach Einkommen, Kindern oder Kaufabsichten für zum Beispiel Autos fest und geben ihre Anforderungen an die Kabelnetzbetreiber weiter, damit diese ermitteln, wie viele Haushalte dazu passen, und lediglich hier die Spots ausliefern.
Doch die Ausspielung funktioniert natürlich nicht nur über internetangebundene Smart-TVs, sondern selbstverständlich bei jeder Form des Online-Streamings.
Aktuell arbeitet RTL II mit der smartclip AG zusammen und testet nun gemeinsam mit zwei Werbepartnern neue Ausspielmöglichkeiten. In der Variante „Switch In Spot” wird dem Zuschauer nach dem Senderwechsel zunächst für wenige Sekunden das Programm und dann dynamisch im Splitscreen der TV-Spot unter Einblendung der Spotlänge zugespielt.
Targeting und Interaktionen sind hier genauso möglich wie Frequency Capping, das die Häufigkeit der Werbeeinblendung reguliert. Diese Werbeform wird diesen Jänner von Saturn im RTL II-Programm getestet.
Die zweite Form, der „Switch In Reminder”, basiert auf einer klassischen TV-Platzierung und den Re-Targeting-Möglichkeiten von Addressable TV.
Nachdem zunächst ein TV-Spot im klassischen Werbeumfeld angezeigt wird, erhalten die Zuschauer anschließend einen Reminder im Splitscreen des gleichen Kunden mit zusätzlichem Hinweis auf sofortige Programmfortsetzung. Auch hier erfolgt die Zuspielung zielgruppenspezifisch und ausschließlich an die Zuschauer, die den Spot zuvor gesehen haben. Diese Werbeform testet Lovescout24 im Jänner und Februar.

Etliche umgesetzte Projekte

Addressable TV ist auch in ­Österreich ein Thema und wurde von einigen Playern in einzelnen Projekten bereits eingesetzt.

Horcht man in die heimische Werbe- und TV-Szene hinein, so gehen die Meinungen dazu auseinander – und zwar quer durch die TV-Kunden-, Agenturen- und Vermarkter-Szene.
So sieht Joachim Feher, scheidender Geschäftsführer der MediaCom, Österreichs größter Media-Agentur, einen Vorteil vor allem in der Kombination der „Kraft des Bewegtbilds mit den Möglichkeiten des Targetings. Exakte Zielgruppen, exaktes Timing, exakte Botschaften – es eignet sich damit fantastisch für alle TV-Werber, noch kräftiger zu werden, aber auch für alle Neueinsteiger, die nun streuverlustfrei ROI optimiert im TV präsent sein können. Und wenn dann auch noch die Reichweiten in die 100.000ende bei exakter Zielgruppenaussteuerung gehen, dann bricht definitiv eine neue Werbeära an”, so Feher.
Group-M-„Kollegin”und Mindshare-Geschäftsführerin Friederike Müller-Wernhart streut den neuen Möglichkeiten ebenfalls virtuell Rosen: „Strategisch ist Addressable TV sicher das wichtigste Thema für die Umsetzung der Connectivity. Es zeigt nicht nur die Macht von TV als klassische Medienkategorie, sondern auch das Ausmaß der Wirkung – für uns als Strategiepartner der stärksten Marken im Markt ein historischer Meilenstein. Obwohl bereits vor ein paar Jahren mit HbbTV begonnen, startet nun ein neues Zeitalter der Gesamtwirkung und ihre Nachweisbarkeit in Echtzeit.”
Apropos HbbTV: Seit 2011 wurden laut GfK-Elektropanel in Österreich ca. 1,4 Mio. HbbTV-taugliche Fernsehgeräte verkauft. Allein im ersten Halbjahr 2016 waren es 190.000 HbbTV-fähige TV-Geräte.
Oliver Ellinger, Managing Director bei Publicis Media Austria, schätzt, dass etwa 15% der Österreicher ein HbbTV-fähiges Gerät besitzen, das sie auch tatsächlich mit dem Internet verbinden: „Damit erreichen Smart TVs auch in Österreich eine relevante Größenordnung. Daher sind Versuche, die sich daraus ergebenden technischen Möglichkeiten für die Ausspielung von Werbung zu nutzen, legitim und wichtig. Strategisch muss man sich die Frage stellen, ob ein Mehr an Werbung – zusätzlich zum klassischen Werbeblock – der richtige Weg ist; gerade in Zeiten, in denen Anbieter, die explizit ohne klassische Werbung auskommen, Reichweitenerfolge zeitigen, Stichwort Netflix & Co. Hier wäre sicher eine geringere, dafür aber zielgruppengenaue Anzahl an Ausspielungen ein Weg, der aber technisch derzeit noch eine große Herausforderung darstellt”, so Ellinger.

Nicht alle sind überzeugt

Etwas kritischer sieht auch Elisabeth Plattensteiner, CEO der Mediaagentur OmniCom Media, die Sache: „Ganz ehrlich – dieses Thema wird immer wieder neu kommuniziert und technologisch weiterentwickelt gepusht, und wir waren mit unserem Kunden Peugeot schon 2010 innovativer Vorreiter und hatten Testkampagnen – damals noch mit dem roten interaktiven Button – am Start. Aber die Userfreundlichkeit passt noch nicht, die Navigation über die Fernbedienungen ist für Konsumenten mühsam und langsam im Vergleich zu mobile oder Laptop. Die Rücklaufzahlen in puncto Reichweite sind noch nicht überzeugend. Es muss die Kreation bzw. die dahinterliegende Information abgestimmt sein (auf spezifische Nutzungsbedingungen) und dafür benötigt es einen aufgeschlossenen, smarten Kunden, der Zeit und Geld freistellt”.

Plattensteiner betrachtet das Thema noch als „eher schwierig”.
Auch bei [email protected] hat man schon im Jahr 2013 für den Kunden A1 eine der ersten Connected TV-Kampagnen Österreichs umgesetzt, so deren Chef Andreas Martin.
Das Potenzial dieser neuen, IP-basierten TV- Plattformen habe man in der Agentur schon seit langer Zeit erkannt, und, so Martin: Für mich ist eine derartige Entwicklung ein lebender Beweis, dass man sich vom Begriff des Gattungsmarketing lösen sollte. Die Welt wird mehr und mehr digital, und das trifft auch Media­kanäle wie TV.”

„Spannende Technologie”

Ebenfalls eine Kampagne – in diesem Fall für den Kunden Vöslauer – umgesetzt hat die Media1, so deren Geschäftsführer Joachim Krügel gegenüber medianet: „Der Einsatz von PreRolls, Content Ads und die Integration in der App-Startleiste sowie der interaktive Red Button im Werbespot dienten dazu, um auf den HbbTV-Auftritt von Vöslauer aufmerksam zu machen. Die Microsite wurde mit einem einfach navigierbaren Video­menü versehen, in dem – passend zum aktuellen TV-Spot von Vöslauer – sieben verschiedene Yoga-Tutorials mit Yoga-Lehrerin Viktoria Ecker abrufbar waren. Dabei haben 228.000 Personen auf die Inhalte zugegriffen, mit einer Höchstverweildauer von 30 Minuten.”

Sein Fazit: „Eine spannende Technologie, die mit guten Produkten der TV-Vermarkter einen interessanten Mehrwert für Werbekunden bietet. Entscheidend ist, dass die Umsetzung zur Marke und zu den Kampagneninhalten passt. Dann ist es Content Marketing at its best.”
Aufseiten der TV-Sender steht man dem Thema Addressable TV jedenfalls durchaus positiv gegenüber: Ina Bauer, Director Sales, Marketing & New Medi bei ATV: „Addressable TV verknüpft die Reichweite des Massenmediums TV mit der gezielten Ansprache über das Internet und ermöglicht den Einsatz digitaler Aussteuerungs- und Targeting-Mechanismen. Dies bedeutet, Kunden zukünftig mit maximaler Effizienz und minimalem Streuverlust noch besser servicieren bzw. betreuen zu können. Saisonale wie lokale Kampagnen sind in Echtzeit umsetz- und ausspielbar. Dadurch ergeben sich spannende und innovative Werbemöglichkeiten, die die beiden Welten on air und online optimal ergänzen. Aktuell befindet sich ATV in der finalen Evaluierungsphase für Addressable Ads. Wir gehen davon aus, zeitnah mit ersten Kundenkampagnen zu starten.” Bauer: „Ich bin davon überzeugt, dass wir durch neue effektive Werbemöglichkeiten wie beispielsweise Addressable-Ads dem Innovationscharakter von ATV weiterhin gerecht werden. Aus unserer Sicht ist ein Zusammenwachsen der on air/online-Möglichkeiten eine nicht mehr wegzudenkende Entwicklung im Sales-Bereich.”

Vereinigung von Web & TV

Für einen „Schritt in die richtige Richtung” hält Addressable TV auch Heimo Hammer, Inhaber und Geschäftsführer der Digital-Agentur kraftwerk. Seine Begründung: „Know-how aus dem Web wird mit dem First Screen vernetzt und optimiert ausgespielt. Gerade die Verbindung, wenn jemand den Spot gesehen hat und er/sie bekommt gleich eine gute Story dazu, finde ich super. Es wird die Trennung von TV und Web aufgehoben und man darf gespannt sein, wie die Kunden das annehmen werden. Die Interaktivität und damit der Werbenutzen müssten enorm steigen.”

Etwas abwartend zeigt man sich bei einem potenziellen Kunden, Spar: „Wir nutzen diese Möglichkeit aktuell nicht. Sollte sich das Angebot an Addressable-TV-Werbeformen spürbar erweitern und eine valide Datenlage – Reichweite, Marktanteile, TKP, etc. – dafür sprechen, werden wir eine etwaige Verschiebung von linear auf streaming in unseren Mediaplänen und Media­budgets entsprechend prüfen”, so Spar-Unternehmenssprecherin Nicole Berkman.
Und wie wird es weitergehen mit dem Thema Addressable TV? Am österreichischen Markt scharrt die IP Österreich schon in den Startlöchern und wird schon im ersten Quartal erste Testkampagnen launchen.
IP-Geschäftsführer Walter Zinggl sieht vor allem für Produkte, die bei „normaler” TV-Werbung zu hohe Streuverluste produzierten, eine Chance. „Die Luxus-Uhr um 20.000 Euro wird man eher nicht in einem normalen TV-Werbeblock schalten. Aber mit den Möglichkeiten, die Addressable TV bietet, macht das Ganze dann schon mehr Sinn”, so Zinggl gegenüber medianet.

Gesetzliche Schranke für ORF

Auch wirtschaftlich könnte das Thema für die Privatsender erfreulich sein, denn: Die maßgeschneiderte Werbe-Ansprache einzelner Haushalte ist in den Programmen des ORF diesem gesetzlich untersagt – womit jene, die diese neue, personalisierte Form der Werbung einsetzen wollen, hier auf das Portfolio der in Österreich empfangbaren Privatsender zurückgreifen ­werden.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL