Gegen die Wand in Richtung Erfolg
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MARKETING & MEDIA Björn Tantau 08.04.2016

Gegen die Wand in Richtung Erfolg

Paper, Room, Riff, Slingshot, Poke: Warum ausgerechnet die Flops von Facebook der ­Schlüssel zum Erfolg sind.

••• Von Björn Tantau


Paper, Rooms, Riff, Slingshot, ­Poke… sagt dir alles nichts? Kein Wunder, handelt es sich dabei doch um mobile Apps, die Facebook eindrucksvoll gegen die Wand gefahren hat – und zwar fast alle, wie sie da stehen. Mit Poke und Slingshot versuchte Facebook sogar gleich zwei Mal, Snapchat „anzugreifen”. Ja, ich schreibe „anzugreifen” absichtlich in Anführungszeichen, denn die Taktik war miserabel, und die Apps wurden von den Usern nicht angenommen. Und weil es sich bei diesen beiden Apps nicht um die einzigen Misserfolge in den letzten Jahren gehandelt hat, zieht Facebook jetzt die Reißleine und macht das für die Entwicklung solcher Apps hauseigene Entwicklungslabor („Creative Labs”) dicht. Wer aber denkt, dass Facebook unter den gescheiterten Apps leidet, der irrt – in Wahrheit sind diese Apps einer der Schlüssel des beeindruckenden Erfolgs von Facebook. Doch warum ist das so?

Facebook ohne mobile App-Strategie

Facebook hatte noch nie eine richtig durchdachte Strategie für die Entwicklung von mobilen Apps, die sich funktionell größtenteils außerhalb der eigentlichen Facebook App bewegten. Es sah bisher immer danach aus, als würde man nach dem Gießkannenprinzip versuchen, vor allem auf aktuelle Trends aufzuspringen (siehe Poke und Slingshot). Aus diesen Fehlern hat man durchaus gelernt und versucht, die Erfahrungen in anderen Apps zu verwirklichen.

Denn bei allem Scheitern: Es gibt eine Reihe Facebook Apps, die in der Tat erfolgreich sind – angefangen beim Facebook Messenger. Doch auch Facebook Groups oder das zugekaufte WhatsApp erfreuen sich großer Beliebtheit und sorgen dafür, dass Facebook selbst immer erfolgreicher wird. Das gilt auch für Facebook Moments – eine App, mit der gemeinsame Erlebnisse per Foto und Video dokumentiert werden können. Mit dieser App macht Facebook gute Erfahrungen, sie hält sich in den Downloadcharts relativ gut. Das gilt zwar nicht für Europa, denn dank übereifriger Datenschützer ist die App hier nicht verfügbar – doch das nur am Rande. Wichtig ist, dass Facebook viel ausprobiert und einige dieser Versuche kläglich scheitern … andere jedoch werden echte Erfolge.

Facebook entwickelt sich schnell

Genau das ist letztlich der Schlüssel zum Erfolg, von dem ich spreche. Facebook ist nicht nur das weltweit größte Soziale Netzwerk, Facebook ist auch ein extrem großer Innovator. Das kannst du daran erkennen, wie oft sich zum Beispiel die Website von ­Facebook verändert. Schau dir mal Screen­shots von vor zehn Jahren an und vergleiche sie mit dem heutigen Outfit. Ich kenne Firmenwebsites, die sich in den letzten zehn Jahren nicht oder nur sehr wenig verändert haben.

Oft wird an bewährten Dingen festgehalten, was dann dazu führt, dass Innovationen ausgebremst werden. Das ist bei Facebook definitiv nicht der Fall. Doch zurück zu den Apps … Facebook probiert viel aus und wird ganz sicher auch in Zukunft weitere Standalone Apps produzieren – das aber nicht mehr unter dem Dach der Creative Labs. Die komplette Einstellung der Produktion von Apps wäre allerdings fahrlässig, denn es gibt genug Beispiele, an denen deutlich wird, dass Facebook von jedem Entwicklungsschritt profitiert, auch wenn das auf den ersten Blick anders aussehen mag.

Erbgut gescheiterter Apps lebt weiter

Erinnern Sie sich noch an die App mit dem Namen Paper? Damit wollte Facebook den News Feed schöner machen und seinen Nutzern auf dem Smartphone eine neue Form der User Experience bieten. Möglicherweise war auch diese App ihrer Zeit voraus, denn sie floppte (auch wenn sie immer noch für iOS erhältlich ist). Allerdings – und das ist der ganz wichtige Faktor – finden sich viele Eigenschaften und Vorteile der App in einem neuen Produkt von Facebook wieder: den Instant Articles.

Instant Articles auf Facebook funktionieren bisher gut, zumindest hab ich noch von keiner Seite wirkliche „Beschwerden” dazu gehört. Große Partner wie die New York Times und Buzzfeed, aber auch Spiegel Online sind dabei und veröffentlichen Inhalte direkt auf Facebook – zum Vorteil der User, denn die müssen Facebook nicht mehr verlassen und bekommen den gewünschten Content gleich an Ort und Stelle. Die Paper App hat also dafür gesorgt, dass ein komplett neues Produkt an den Start gebracht werden konnte, mit dem Facebook sehr wahrscheinlich mehr Geld verdienen wird, als es mit Paper jemals möglich gewesen wäre. Daran kannst du erkennen, dass Facebook vielleicht in der Vergangenheit keine Strategie für mobile Apps hatte, immerhin aber clever genug war, aus den eigenen Fehlern zu lernen und alle positiven Aspekte auf neue Produkte zu übertragen.

Facebook ist ein guter Verlierer

Genau das ist ein Schlüssel zum Erfolg, ohne den Facebook nicht so groß geworden wäre, wie es heute ist. Und diese Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen, sie ist im Gegenteil sehr dynamisch. Erinnerst du dich noch, als Facebook Snapchat kaufen wollte? Kurz nachdem Mark Zuckerberg bei Evan Spiegel abgeblitzt war, wurde WhatsApp für einen wahnwitzigen Preis geschluckt. Was auf den ersten Blick wie eine Kurzschlussreaktion wirkte, war das Ergebnis einer „internen Evolution” im Bereich Instant Messaging. Facebook selbst veröffentlichte mit Poke und Slingshot zwei erfolglose Konkurrenten für Snapchat und stellte auch diese Apps schnell wieder ein.

Was aber blieb, waren die Erfahrung, die Technik und das Know-how aus diesen Apps. Und wo ich gerade bei der Erfahrung bin: Selbstverständlich kann Facebook mit Apps wie Slingshot oder Poke auch erkennen, dass solche Apps bei den eigenen Usern nicht gut ankommen. Was also tun? Weiter dem Trend folgen und einen Angriff nach dem nächsten auf Snapchat starten? Facebook ist dafür viel zu klug und nutzt die gesammelten Erfahrungen lieber, um eine eigene, schon hervorragend funktionierende App weiter zu verbessern.

Facebook-Messenger im Zentrum

Die Rede ist natürlich vom Facebook Messenger. Zwar hat Facebook mit der Übernahme von WhatsApp alles dafür getan, um den eigenen Messenger auf den ersten Blick überflüssig zu machen. Die schrittweise Abschaltung der Nachrichtenfunktion in der Facebook App und der „Zwang”, nur noch via Facebook Messenger kommunizieren zu müssen, haben dazu geführt, dass 700 Millionen Menschen weltweit auf diese Art und Weise kommunizieren. Zum Vergleich: WhatsApp wird von 900 Millionen Menschen weltweit genutzt. Das sind zwar mehr als beim Facebook Messenger, aber auch nicht sehr viel mehr. WhatsApp selbst hat Facebook dabei geholfen, die eigene Stellung in Afrika zu verbessern, denn dort ist WhatsApp allein für elf Prozent des Webtraffics verantwortlich. Auch das ist ein Beispiel dafür, wie Facebook bestrebt ist, immer besser zu werden – es mag eine Strategie für die Entwicklung von Apps gefehlt haben, doch wenn es um Wachstum geht, dann wurden die Hausaufgaben bei Facebook immer schon sehr sorgfältig erledigt. Slingshot und Poke, aber auch der Kauf von WhatsApp waren eine direkte Folge der Bestrebungen von Facebook, tiefer in den Bereich Instant Messaging einzutauchen. Alle Erfahrungen daraus kamen dann dem Facebook Messenger zugute. Diese App wurde von Facebook zu einer Plattform ausgebaut, die mittlerweile auch schon mit einem virtuellen Assistenten aufwartet.

Fazit

Auf lange Sicht will Facebook sich so mit Konkurrenten wie Skype oder den Hangouts von Google messen, doch auch Apps wie WeChat aus China sind direkte Gegenspieler – von denen Facebook ebenfalls enorm lernen kann. Mit WeChat ist es zum Beispiel schon heute möglich, zu kommunizieren, die eigene Stromrechnung zu bezahlen oder automatisch ein Taxi zu rufen. Hätte Facebook aus den vergangenen Jahren nicht gelernt, dann würde es vermutlich bald eine Standalone App geben, die WeChat Konkurrenz machen soll. Viel sinnvoller ist es aber, die bisherigen Erfahrungen zu nehmen und WhatsApp für den privaten und den Facebook Messenger für Business-Zwecke weiter aufzubauen und zu verbessern – und genau das tut Facebook.

Ständige Innovation und konsequente Weiterentwicklung ist einer der Schlüssel des Erfolgs von Facebook. Dazu gehört auch, dass man aus Fehlern lernt und immer wieder neue Sachen ausprobiert – selbst wenn sie scheitern. Die Erfahrungen aus solchen Projekten gehen bei Facebook nie verloren und die DNA von Slingshot, Poke, Paper, Rooms, Riff und all den anderen gescheiterten Apps taucht an den unterschiedlichsten Stellen wieder auf.

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