Sofortness versus Snowden
MARKETING & MEDIA sabine bretschneider 30.09.2016

Sofortness versus Snowden

Keine andere Empfindlichkeit hat sich so gewandelt wie jene in puncto Datenschutz.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

BIG DATA. Oliver Stones „Snowden” läuft eben an. Dazu ein kleiner Streifzug: In den 80er-Jahren liefen die Deutschen Sturm gegen die Volkszählung („Schnüffelstaat”); zur Jahrtausendwende erregten Nummern auf den einschlägigen Personenblättern auch die österreichische Öffentlichkeit; Rasterfahndung und Lauschangriff taugten als Zankäpfel höchster Güteklasse. FP-Mann Westenthaler wurde für den „Vorschlag, erst allen Ausländern und dann überhaupt der gesamten Bevölkerung die Fingerabdrücke abzunehmen”, mit dem „Big Brother Award 2001” ausgezeichnet (die biometrischen Reisepässe lassen herzlich grüßen). Drei Jahre später wurde das österreichische Melderegister als „böse Mutter aller personenbezogenen Datenbanken” mit dem Großen Bruder ausgezeichnet – und die Wiener Linien für die Überwachungskameras in einigen U-Bahn-Waggons …

Mit solchem Kinderkram würde sich heute selbst der sensibelste Datenschützer nicht mehr auseinandersetzen – weniger aus mangelnder Empörung denn aus gestiegener Abstumpfung. Wie kann man Überwachungstendenzen rügen, wenn der aufgeklärte Bürger zwar seine Laptop-Kamera abklebt, aber das eigene digital gespeicherte Leben für eine Gratis-App auf den Markt wirft? Aber – das ist der subtil gepflegte Unterschied – halt nicht in den Rachen der Geheimdienste, sondern in die Kundenkartei irgendeines koreanischen Mischkonzerns. Wie sagte doch Snowden in einem Gespräch mit dem Guardian-Journalisten Glenn Greenwald: „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich tue und sage, aufgezeichnet wird. Solche Bedingungen bin ich weder bereit zu unterstützen, noch will ich unter solchen leben.” Alle anderen offensichtlich schon.

Dazu noch ein Hinweis für Marketer: Das nächste Trendvokabel nach der Convenience steht in den Startlöchern: „Sofortness” (© Peter Glaser, Stuttgarter Zeitung): alles sofort, totaler Live-Stream. Wer gelernt hat, sein Leben im Flow des Netzes zu verbringen, will nicht von AGB unterbrochen werden. Ein ausbaufähiges Konzept.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL