Strategie gegen „Web-Dschihad”
MARKETING & MEDIA 11.03.2015

Strategie gegen „Web-Dschihad”

Basisarbeit Ein Wiener Islamwissenschafter forscht seit Jahren über islamistische Internetauftritte und leistet damit wichtige Pionierarbeit

In einem wissenschaftlichen Projekt wird untersucht, wie und vor allem wofür islamistische Terrorgruppen das Netz nutzen.

Wien. Islamistische Terrorgruppen nutzen die Möglichkeiten des Internet ganz gezielt. Wie sie dabei vorgehen und welche Gegenstrategien sich daraus ableiten lassen, wurde in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF untersucht.

Abenteurerromantik, eingängige Musik, paradiesische Verlockungen und Heilsversprechen: Das ist eine Version der Selbstdarstellung, die radikale islamistische Strömungen im Internet verbreiten. Nicht nur gewalttätige Inhalte zählen; vielmehr wird auf der ganzen Klaviatur des „Storytelling” in eigener Sache gespielt. „Viele Videos etwa lehnen sich an die Ästhetik von Computerspielen an”, erläutert Rüdiger Lohlker von der Universität Wien. Der Islamwissenschafter forscht seit Jahren über islamische Internetauftritte und leistet damit wichtige Pionierarbeit.

Zu wenig Wissen

In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt haben Lohlker und sein Team nun den Fokus auf globale dschihadistische Strömungen und ihre Onlinepräsenzen gelegt. „Wir müssen die Strategien der Dschihadisten verstehen, um Gegenstrategien entwickeln zu können; noch ist das nicht ausreichend der Fall”, betont Lohlker.Ein Grund für dieses fehlende Verständnis sei darin zu sehen, dass sich die Dschihadismus-forschung bis dato vorwiegend auf den Sicherheitsbereich konzentriert hat. Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen, die von einer dschihadistischen Online-Subkultur zusehends in einen Online-Propagandakrieg münden, greife das „sicherlich zu kurz”. Mit dem FWF-Projekt konnte nun eine Forschungslücke geschlossen werden, indem der Fokus der Untersuchungen auf die sozialen Aspekte der radikalen Gruppierungen und ihrer Online-Auftritte gelegt ­wurde. Konkret analysierten die Forscher drei Ebenen: die religiöse, die rhetorische und die visuelle. Sowohl das islamische Wissen der Wissenschafter als auch die Sprachkompetenzen spielten dabei eine wesentliche Rolle. So untersuchten Rüdiger Lohlker und sein Team vorwiegend arabischsprachige Internetplattformen. Diese seien noch immer die zentralen Internetpräsenzen, erklärt der Forscher: „Das Arabische ist die Schwelle, um im dschihadistischen Milieu anerkannt zu werden.”

„Hohe Professionalität”

In vorwiegend qualitativen Untersuchungen wurden unter anderen Internetforen und eine Vielzahl an Videos untersucht. „Die Werkzeuge der dschihadistischen Kommunikationsstrategen ähneln immer mehr professionellen PR-Werkzeugen der Privatwirtschaft”, fasst Lohlker zusammen. Corporate Design und Corporate Wording kommen zum Einsatz. Das heißt, wiederkehrende und leicht identifizierbare visuelle Symbole werden abgestimmt auf religiös begründete sprachliche Argumentationsmuster. Allgemeine islamische Diskurse werden dabei in dschihadistische umgedeutet und als Legitimation der radikalen Aktivitäten genützt. „Auch die Verteilungsstrategien von Materialien sind sehr gut, vergleichbar mit der Gaming-Industrie”, berichtet Lohlker. Und schließlich spielt auch die Kontaktanbahnung eine zentrale Rolle im Internet; die Forscher konnten aufzeigen, wie mittels einer Art Loyalitätseid potenzielle Mitstreiter eingeschworen werden.Als nächste Schritte sind Big-Data-Analysen geplant, die sich auf der aus dem FWF-Projekt nun vorhandenen „Matrix” weiterführen lassen. Doch dem Anspruch der Wissenschafter ist damit nicht genüge getan. Sie wollen auch praxistaugliche Strategien zur Deradikalisierung entwickeln. „Nur so können wir den Dschihadisten ihre Grundlagen entziehen”, ist Lohlker überzeugt. „Denn gerade in der Prävention, aber auch in anderen zentralen Bereichen, gibt es nach wie vor ein mangelndes Verständnis dessen, was es heißt, im Internet aktiv zu sein. Das verblüfft mich bis heute”, sagt Lohlker und arbeitet an Gegenmaßnahmen. Aus dem FWF-Projekt wurde beispielsweise eine Online-Strategie entwickelt und auch schon auf ihre Tauglichkeit erprobt. Darüber hinaus beteiligt sich das Institut aktuell am Aufbau eines Zentrums in Indonesien, in dem rund 4.000 Aktivisten einer großen muslimischen Organisation ausgebildet werden sollen, um die Deradikalisierung voranzutreiben. „Davon könnten wir auch in Österreich und Europa profitieren, indem wir Multiplikatoren ausbilden, die sowohl eine solide Kenntnis der Religion haben, als auch versiert sind im Umgang mit dem Internet.” Es brauche die Förderung von Aktivitäten, die aus der Zivilgesellschaft kommen, ist der Forscher überzeugt. Da gelte es, die Kontrolle aus der Hand zu geben, so der Rat Lohlkers. „Denn bürokratisch funktioniert das Internet eben nicht.” (red)Infos zum Projekt: www.fwf.ac.at

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