Tappen Sie nicht in die Seniorenfalle
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MARKETING & MEDIA Anne M. Schüller 10.02.2017

Tappen Sie nicht in die Seniorenfalle

Eine Zielgruppe 50plus gibt es nicht. Sie ist eine dumme Erfindung der Werbeszene.

Gastbeitrag ••• Von Anne M. Schüller

Marketer haben die merkwürdige Angewohnheit, nicht mit Individuen, sondern mit Zielgruppen zu arbeiten. Dabei handelt es sich um eine gedankliche Bündelung von Menschen nach gemeinsamen Merkmalen, Eigenschaften und Verhaltensweisen. Immer mehr stellt sich jedoch heraus, dass nicht demografische Gegebenheiten und Milieuzugehörigkeit unser Verhalten bestimmen, sondern die unterschiedlichsten Lebensentwürfe, Denkweisen und Wertemuster.

Homogene Gruppen mit ähnlichem Kaufverhalten sind einer unglaublichen Vielfalt an Lebensstilen gewichen. Deshalb passen klassische Segmentierungsansätze heute nicht mehr. Selbst innerhalb von Altersklassen gibt es nur noch wenige übereinstimmende Merkmale. Dies gilt natürlich auch für die sogenannte Zielgruppe 50plus. Die Unterschiede sind, wie in jeder anderen Altersgruppe, ganz enorm.

Ab 50 geht’s erst richtig los

Heutzutage beginnt um die 50 vielfach eine neue Phase im Leben der Menschen, sehr oft gerade bei Frauen. „Zweiter Aufbruch” wird sie genannt. Als Existenzgründer fangen manche noch mal „ganz von vorn” an. Oder sie unterstützen die junge Gründergeneration als Business Angel. Oder sie machen sich gemeinnützig stark.

Mit 65 ist heute noch niemand alt, höchstens schon ganz lange jung. Man bildet sich weiter, man will sich nützlich machen. Fleißig werden Pläne für alle möglichen semiberuflichen und privaten Aktivitäten geschmiedet und beschwingt in die Tat umgesetzt. Man hält sich fit und tut viel, um möglichst lange gesund zu bleiben.
Alt will man so lange wie möglich nicht sein. „Darin sehe ich ja aus wie eine Oma”, hörte ich neulich eine 75-Jährige empört bei der Kleideranprobe sagen. 80 ist das neue 65 in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Über diese hochbetagte Alterskohorte ist noch sehr viel zu lernen. Dies geht am besten, indem man sie aktiv involviert.
Barbara Beskind ist die wahrscheinlich älteste Produktdesignerin der Welt; mit 89 Jahren hat sie sich bei der renommierten Designerschmiede Ideo beworben – und wurde prompt eingestellt. Viele Produkte für ihresgleichen seien zwar gut gemeint, aber falsch konzipiert, weil ihre Schöpfer sich nicht in die Nutzer hineinversetzen könnten, sagt sie verärgert. So ist sie angetreten, dies mit Verve zu ändern.

Was 50plus-Menschen eint

Höchstens vier Dinge haben ältere Kunden gemeinsam:
• Wer körperlich und geistig fit ist, fühlt sich deutlich jünger. Gefühlte zehn Jahre weniger sind es bei 50-Jährigen, gefühlte 15 Jahre bei 60- bis 75-Jährigen. Im Marketing nennen wir sie „Young-minded Customer”.
• Ältere haben mehr Kauferfahrungen als Jüngere, sie sind daher kritisch und anspruchsvoll – doch bei Gefallen auch eher treu. Außerdem sind sie vertrauenswürdige Empfehlungsgeber und dankbare Empfehlungsempfänger.
• Körperliche und geistige Funktionen verändern sich im Alter. Die Beweglichkeit, Augen, Ohren, der Geruchs- und der Gleichgewichtssinn lassen nach. Dies muss bei der Produktgestaltung und bei Serviceerlebnissen zwar berücksichtigt, darf aber niemals explizit angesprochen werden. Die Steigerung von Lebensqualität und Lebensfreude sollte immer im Vordergrund stehen.
• Erfahren und weise, ja, das klingt gut. Doch alt sein will niemand. Begriffe also, die überdeutlich einen fortgeschrittenen Alterszustand aufzeigen, haben in der Kommunikation nichts verloren. Suchen Sie stattdessen nach charmant klingenden Worten, am besten nach solchen, die noch nicht abgedroschen sind.

Passende Kommunikation

Bei der Ansprache älterer Menschen werden immer wieder gravierende Fehler gemacht. So bat ich kürzlich in einem Restaurant eine junge Bedienung um Rat: „Ich habe nur wenig Hunger. Was kann die Küche denn da für mich zaubern?” – „Nehmen Sie doch den Seniorenteller!”, war die lieblose Antwort. Dieses Lokal werde ich nie mehr betreten.

Also dann, checken Sie mal Ihre Kommunikation: Egal, was Sie anbieten, „altertümliche” Anreden und die Senioren-Nummer sind tabu. Auch alles – im wahrsten Sinne des Wortes – Kleingedruckte muss weg. Was wir nicht lesen können, kaufen wir nicht. Und im Handel bleibt alles, wofür ältere Menschen sich bücken müssten, in den ­Regalen zurück.
Eine kleine Randnotiz: Während rund um das Kinderzimmer längst alles hip und durchdigitalisiert ist, fehlt das bei Rollator & Co. nahezu völlig. Alle Produkte, die Mobilität ermöglichen und die Teilnahme am Leben erleichtern, könnten viel jugendlicher, styliger und vernetzter werden. Eine riesige Marktlücke!

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