„Überall dabei sein ist noch lange keine Strategie”
© Gruner+Jahr/David Maupilé
MARKETING & MEDIA 05.02.2016

„Überall dabei sein ist noch lange keine Strategie”

Neue digitale Vertriebswege erhöhen die Chance, mehr Leser zu erreichen. Neben dem Bedarf an Expertise braucht es allerdings eine klare Strategie, manchmal eine Investition und in jedem Fall eine effiziente Organisation.

Gastbeitrag ••• Von Angela Schuh-Haunold

WIEN. Zusätzliche digitale Vertriebsmöglichkeiten erhöhen die Anforderungen an Vertrieb und Marketing von Zeitungen und Magazinen. Es gibt mehr Möglichkeiten, Leser zu erreichen, aber auch mehr Bedarf an Expertise und höhere Kosten. Neben der Frage nach der richtigen Angebots-Strategie geht es darum, sich effizient zu organisieren und auf die Marktgegebenheiten einzustellen.

Alles zu einem Preis

„All you can read” – mit diesem Modell ist vergangene Woche read.it. aus Deutschland offiziell am österreichischen Markt eingetreten.

read.it bietet seine Kunden Zeitungen und Magazine in einem Flatrate-Modell ab 9,99 € pro Monat an. Bereits im September 2015 hat sich Blendle aus den Niederlanden auf den österreichischen Medientagen präsentiert. „Read what you need” ist hier das Geschäftsmodell. Zum Kauf angeboten werden Artikel aus Zeitungen und Magazinen, die je nach Länge pro Beitrag zwischen 0,15 bis 1,99 € zu haben sind. Falls der Leser mit dem Artikel nicht zufrieden ist, bekommt er sein Geld zurück. Ein ähnliches österreichisches Modell hat sich unter dem Namen ­selectyco ebenfalls im September erstmals vorgestellt.
Vor ein paar Jahren noch hatte man Paid Content-Strategien für Printmedien wenig Chancen gegeben. Nun explodieren förmlich die unterschiedlichen Möglichkeiten für Verlage, die diverse Anbieter als Geschäftsmodell für sich entdeckt haben. In nur fünf Monaten wurden österreichischen Verlagen drei neue Vertriebswege für ihre Inhalte offeriert, die die Hoffnung, dass Paid Content funktioniert, gestärkt haben. Was aber wird es den Verlagen bringen?

Digitaler Medienkonsum steigt

Die Prognose für Umsätze durch ePublishing in Österreich liegt für 2016 bei 60,51 Millionen Euro; nur 11 Millionen davon entfallen auf ePaper und eMagazine,der Rest sind Umsätze durch eBooks. Bis 2020 soll sich die Umsätze für ­ePublishing auf 119,31 Millionen Euro erhöhen, davon 19,1 Millionen für ePaper und eMagazine (Quelle: Prognostizierte Entwicklung des Marktes „Digitale Medien” in Österreich bis 2020, Statista, Juli 2015). Eine imposante Steigerung um über 70% in vier Jahren. Reicht das?

Es gibt keine Alternative. Die Konsumation digitaler Inhalte, insbesondere über das Tablet und das Smartphone, steigen stetig an. Junge Zielgruppen sind fast ausschließlich über diese Kanäle zu erreichen. Vertriebs- und Marketing Manager der Verlagshäuser stehen angesichts dieser Entwicklung nicht nur vor der Frage „Wo dabei sein, und wo nicht?”, sondern auch vor der Herausforderung zunehmender Vertriebs- und Marketinganforderungen:

1. Mehr Produktangebote und Produktkombinationen
2. Eine steigende Anzahl von Verkaufs- und Vertriebskanälen
3. Eine steigende Anzahl an Plattformen und Marktplätzen
4. Komplexere Interaktionsformen mit den Kunden.

Fragen wie: „Wie spreche ich die Zielgruppen auf den unterschiedlichen (Social Media-)Kanälen richtig und effizient an?” „Welche Formate brauche ich für das Ausspielen der Inhalte auf den verschiedenen Plattformen?” oder „Kann mein Serviceteam alle Kundenanfragen für alle Vertriebskanäle beantworten?” begleiten heute den Marketing- und Vertriebs­alltag. Dazu kommt, dass die Logistik und Zustellung zu einer technischen Frage geworden ist.

Bisher nur individuelle Lösungen

Österreichische Verlage haben auf diese Anforderungen bisher meist mit individuellen Verlagslösungen reagiert, die manchmal umständlich und teuer scheinen. Als Vergleich kann die Vorgehensweise beim Eintritt des Internets dienen, der vielen Verlagsorganisationen bis heute zusetzt.

Zu Beginn einfach „neben” die bestehende Organisation „hingestellt”, wurden aus Verlagen plötzlich „Medienhäuser”. Der Begriff allein kann aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Integration des Mediums „Internet” bis heute oft gar nicht oder nur halbherzig umgesetzt ist. Was übrig bleibt, ist das schlechte Gefühl, auf einem Schatz von potenziellen Kundendaten zu sitzen, den man nicht heben kann.

Erwartung der Kunden steigt

Die Integration neuer Vertriebs­kanäle und Systeme passiert ähnlich: Zu den bereits bestehenden Verkaufskanälen werden – von unterschiedlichen Anbietern – weitere neue „hinzugefügt” und miteinander vernetzt. Weil nicht nur die Angebote, sondern auch die Verkaufskanäle mehr werden, gibt es mehr technische Schnittstellen in der Kundenkommunikation, die an eine (hoffentlich) zentral vorhandene Kundendatenbank angedockt sind.

Mit der Geschwindigkeit, in der sich heute Angebote, Systeme und Kundenanforderungen weiterentwickeln und verändern, werden systemische Anpassungen zu einem kostenintensiven Dauerbrenner.
Denn insbesondere die Erwartungshaltungen der Kunden im Bereich der digitalen Kommunikation mit Verlagen steigen. Die Umsetzung erfordert Expertentum, Erfahrung und Geld. Professionelle Anbieter wie Amazon oder Zalando haben ihre Kunden mit perfektem Service, einfacher Handhabung und Zahlungsmodalitäten verwöhnt. Diese positiven Erfahrungen sind zu einem Bewertungsmaßstab auch für das Angebot von Verlagshäusern geworden.
Mit der zunehmenden Technologisierung und Professionalisierung potenzieren sich daher die Anforderungen an die Schnelligkeit und die Flexibilität von Redaktionen, des Marketings und des Vertriebs. Um mithalten zu können, ist es ratsam, einmal innezuhalten und den Ist-Zustand im Hinblick auf die Anforderungen der Zukunft neu zu evaluieren. Neben Medien oder Marken, die gut vom Markt angenommen werden, braucht es eine ganzheitliche Sicht auf die Kunden und eine Systemlandschaft, die permanent und kosteneffizient weiterentwickelt wird.

Fehler kosten Geld

Ganz klar sei hier gesagt: Überall dabei zu sein, ist keine Strategie, und alles anzubieten, ist aufwendig und teuer. Gerade im Hinblick auf eine effiziente Organisation ist es wichtig, ein klares Ziel zu haben und Kunden und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Das ist es auch, was Eigentümer und Kunden zu Recht vom Management und dem ihm anvertrauten Unternehmen erwarten dürfen. Nur Kosten einzusparen, ist eben so wenig eine Strategie, die Eigentümer auf Dauer selig machen wird.

Neben der Auszahlung von ­Managerboni kostet dieser Weg ­voraussichtlich weit mehr und führt direkt am Markt vorbei.

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