„Verwehren uns gegen dieses Werte-Dumping”
MARKETING & MEDIA Jürgen Hofer 24.03.2015

„Verwehren uns gegen dieses Werte-Dumping”

Wertvoll Verantwortliche der TBWA\Wien mit einem Appell an die Branche, kreative Arbeit wertzuschätzen

Kritik am 24-Stunden-Modell eines Mitbewerbers, aber auch an Gratispitches wie aktuell bei Novomatic.

Wien. „Wir erleben in den letzten Jahren einen enormen Wahrnehmungsverfall dahingehend, dass kreative Leistung nicht mehr entsprechend ihrem Wert honoriert wird. Wir verwehren uns gegen diesen Trend des Werte-Dumpings”, kritisieren Irene Sagmeis-ter und Gerda Reichl-Schebesta, Geschäftsführerin beziehungsweise Kreativdirektorin der TBWA\Wien, im Interview mit medianet. Der Anlass: Aktionen wie jene der Group M-Agentur Maxus, die mit dem Angebot von Kreativkonzept, Umsetzungsvorschlag und strategischem Mediaplan innerhalb von 24 Stunden ab Briefing für Aufregung in der Kreativbranche sorgte.

„Wert gehört abgegolten”

„Die richtige Positionierung, die richtige Kommunikationsidee steigern den Wert einer Marke und erzeugen Wertschöpfung. Und dieser Wert gehört abgegolten.” Reichl-Schebesta, als CCA-Präsidentin besonders in dieser Thematik aktiv, ergänzt: „Ideen sind maßgeschneiderte Lösungen – das ist ein wesentlicher Punkt. Wir bieten keinen Katalog, aus dem der Kunde von der Stange bestellt. Als Agentur beschäftigen wir uns, bevor wir überhaupt eine Idee erarbeiten, mit der Analyse und Vermessung des Kunden und seines Businessproblems.” Allein das nehme Zeit in Anspruch und sei die notwendige Basis. „Ob ich eine Marke – wie beispielsweise mit dem Kunden Verbund –, die unglaublich komplex und in zig Kanälen zu bespielen ist, in allen Ausprägungen repositioniere oder nur singulär ein Sujet für einen bestimmten Anlass entwickle, sind zwei völlig verschiedene Dinge”, so Reichl-Schebesta.Sagmeister sieht ein weiteres Problemfeld: Mit einem solchen Versprechen würden falsche Erwartungen geweckt werden und eine ganze Branche diskreditiert, einschließlich jener Kunden, die mit Agenturen seriös und wertschätzend zusammenarbeiten. Auch diesen werde damit unterstellt, ihren Job nicht effizient zu machen, wenn sie sich und ihren Partnern mehr als 24 Stunden für die Entwicklung neuer Konzepte zugestehen. „Pauschal zu behaupten, man erarbeite jegliche Kampagne in wenigen Stunden, ist eine ruinöse Verkürzung von Information, die so nicht funktionieren kann und unserer Branche erheblichen Schaden zufügt”, so Sagmeister.Eine Auswirkung des Werteverlusts kreativer Arbeit sei auch das – seit vielen Jahren kritisierte – Thema der Gratispräsentationen.

Agentur sagt Novomatic ab

Aktueller Fall: Novomatic. „Ein Speed-Briefing von 20 Minuten mit einer eigentlich spannenden Aufgabe, zu dem aber, wir inklusive, elf Agenturen in drei Wochen eine komplette Präsentation samt Analyse liefern sollen. Der Kunde erwartet sich, das elf Mal frei Haus zu bekommen ohne Aussicht auf ein Abschlagshonorar”, zeigt sich Sagmeister, die die Teilnahme ablehnte, verärgert. Eine medianet-Anfrage an Novomatic läuft. Auch Reichl-Schebesta hat ihre klare Meinung dazu: „Elf mal Ideen und Inspiration gratis: Es wäre blanke Naivität zu glauben, wenn man einmal den Fuß in der Tür hat, wird der Kunde irgendwann schon so viel abwerfen, dass man damit auch Gewinne erzielt und diese Vorleistung refinanziert. Das klingt fast so, als wäre es von vornherein nicht in Ordnung, dass eine Agentur mit ihrer Arbeit auch etwas verdienen will.” Helfen würden dabei weniger gesetzliche Regelungen, bei denen beide Befürchtungen in Richtung administrativer Auswüchse wie bei öffentlichen Ausschreibungen hegen, sondern vielmehr ein Schul-terschluss der Branche.Sagmeister: „Da fehlt der Aufschrei, dass da Dinge stattfinden, die nicht in Ordnung sind.” Agenturen müssten, wie das als Versuch einiger Agenturchefs der Top-15 Österreichs bereits passierte, geeint auftreten. „Dieses Versäumnis müssen wir uns selbst ankreiden. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Leading Agencies irgendwann zu so einem Agreement durchringen werden.”In einem Punkt geben Sagmeis-ter und Reichl-Schebesta den angesprochenen Maxus-Verantwortlichen Florian Zelmanovics und Wolfgang Hagmann, die ihre Pläne Ende Februar hier in medianet präsentierten, dann aber doch noch Recht: bei der Notwendigkeit des Zusammenwachsens von Kreation und Media.„Wir verspüren da und dort den Wunsch nach einem Revival”, verweist Sagmeister mit einem Schmunzeln auf Zustände früherer Jahrzehnte, „die Verknüpfung von Kreation und Media ist wünschenswert. Das muss nicht unbedingt in einer Unternehmung passieren, aber zumindest in eine synergetische Hand gelegt werden.” Dieses Zusammenspiel führe einfach zu besseren Ergebnissen für den Kunden, so Reichl-Schebesta: „Wie und wo kann man mit dem vorhandenen Budget die Aufgabe am besten lösen – die Idee ist dabei der Turbo einer klugen Mediaplanung und sorgt für den gewünschten Effekt.” Am Beispiel Verbund erläutert sie: Mit den beiden Testimonials Dirk Stermann und Christoph Grissemann musste man zuerst Awareness für das Thema Stromanbieter-Wechsel schaffen. „Gemeinsam mit der Mediaplanung wurde dann ein Online-Erinnerungszyklus entwickelt, damit aus einem Interessenten auch ein Kunde wird”, so die Kreativdirektorin. Dafür müsse man aber gemeinsam am Tisch sitzen: „Das geht nur Hand in Hand.”

Insights für die Kreation

Bei der TBWA\Wien, die auch mit der Netzwerkschwester OMD kooperiert, stellt man sich aber auch intern für aktuelle Herausforderungen neu auf: „Wir haben an wichtigen Stellen neue Kollegen am Start, die unsere Kompetenzen erweitern.”Vor allem im Bereich Digital und Social Media habe man sich aus Spezialagenturen Verstärkung geholt. „Wir betreuen mit diesen Skills ganzheitlich. Das sind oft noch nicht die profitabelsten Themenfelder, aber wir wollen und können diese Segmente im Sinne vom ‚Bigger Share of The Client' bestmöglich abdecken. Um einen Kunden wirklich zu verstehen, muss man an möglichst vielen Touchpoints relevant sein und Wert stiften – und da sind diese Kanäle entscheidend. Das wirft auch Perspektiven und Insights über den Kunden ab, die uns in der Kreation ungemein helfen”, so Sagmeister abschließend.

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