„Ein Mittelweg zwischen Freiheit und Sicherheit”
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PRIMENEWS Dinko Fejzuli 09.06.2017

„Ein Mittelweg zwischen Freiheit und Sicherheit”

Der Dachverband der Internetwirtschaft in Österreich, ISPA, feiert seinen 20er (Bild: Generalsekretär Max Schubert).

••• Von Dinko Fejzuli

Vor 20 Jahren wurde der Dachverband der heimischen Internetwirtschaft als Interessenvertretung gegründet. ISPA-Generalsekretär Max Schubert wirft einen Blick zurück, aber auch nach vorn.


medianet: Die ISPA feiert im Juni ihr 20-jähriges Bestehen. Heute hat der Verband deutlich mehr als 200 Mitglieder – eine beachtliche Zahl für ein Land wie Österreich, wie erklären Sie das?
Max Schubert: Wenn wir in ­Österreich vom Internet sprechen, denken viele Personen vorrangig an die großen Player wie Telekom-Anbieter, Services oder Plattformen. Die Wirklichkeit hingegen ist, dass die Internetwirtschaft hierzulande zum überwiegenden Teil aus KMU besteht. Obwohl diese dem Großteil der Bevölkerung unbekannt sind, sorgen sie dafür, dass sich das Internet nicht nur bei den angebotenen Inhalten und Services fortlaufend dermaßen schnell weiterentwickelt, sondern auch in einem topografisch so fordernden Land wie Österreich mittlerweile auch Private und Unternehmen in entlegensten Gebieten mittels innovativer technischer Lösungen an das Internet angebunden werden können. Wir sehen uns darum auch als deren Sprachrohr, da sie einen unverzichtbaren Teil des Ökosystems der ­Internetwirtschaft darstellen.

Um ein Beispiel zu nennen, mit welchen Problemen kleine Anbieter konfrontiert sind: Wir haben eine Studie durchgeführt, die sich damit befasste, mit welchen Barrieren aus dem Bereich des Urheberrechts ein Unternehmen konfrontiert ist, wenn es versucht, einen Online-Musikstreamingdienst in ganz Europa anzubieten. Ein kleines oder mittleres Unternehmen kann die anfallenden Kosten kaum stemmen. Und das schadet nicht nur den Unternehmen, sondern vor allem den Userinnen und Usern, die intensiv im Netz nach legalen Angeboten suchen.


medianet:
Das heißt, Sie vertreten Industrie-Interessen?
Schubert: Wir verstehen uns nicht als Verband, der ausschließlich die wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder vertritt. Unser Vereinsziel ist die Förderung des Internets in Österreich und das bedeutet für uns, einen offenen und vertrauensbildenden Dialog mit allen Partnerinnen und Partnern sowie Stakeholdern zu führen. Ich denke, genau das schätzen auch unsere Mitglieder.

Es ist kein Geheimnis, dass der größte österreichische Anbieter kein Mitglied der ISPA ist. Wir sehen uns diesbezüglich jedoch in keiner Konkurrenzsituation, sondern sehen A1 als Partner in wichtigen Fragen der Digitalisierung und arbeiten durchaus auch zusammen.


medianet:
Warum wurde die ISPA eigentlich gegründet?
Schubert: Man kann sagen, das Jahr 1997 war der Anbeginn der Digitalisierung. Es gab in den Privathaushalten nur sehr vereinzelt Computer oder Mobiltelefone, schon gar keine Smartphones, wie wir sie heute kennen. Das Internet war noch ein Themenfeld, mit dem sich nur sehr wenige Menschen überhaupt und ganz wenige sehr gut auskannten. Vieles war auch ein juristischer Graubereich. Offen war zum Beispiel auch die Frage, wer für die Inhalte im Netz verantwortlich ist. Es entstand dadurch die Frage, wie man Recht anwendet, das zwar in der ‚analogen' Welt gut funktionierte, aber für die digitale schlichtweg ungeeignet war. Und dies hat dann auch letztlich zu einer Reihe von Problemen geführt.

medianet:
Wie darf man sich das vorstellen?
Schubert: Ich war damals natürlich noch nicht bei der ISPA, aber soweit ich von den Gründungsmitgliedern in Gesprächen, Berichten und im Zeitungsarchiv der Nationalbibliothek in Erfahrung bringen konnte, führte die Unsicherheit auch zu Problemen in Rechtsfragen. Bei einem Fall ist damals die Polizei bei einem Provider in Wien in dessen Räumlichkeiten einmarschiert, um dessen gesamte Hardware zu beschlagnahmen. Dieser Ausfall hat den betroffenen Provider wirtschaftlich sehr schwer getroffen. Andere Provider zeigten sich damals solidarisch, und es kam am 25. März 1997 aus Protest zu einer zweistündigen Abschaltung des Internets in Österreich.

medianet:
Was waren die Meilensteine während Ihrer Zeit?
Schubert: Wir können als ISPA über die letzten 20 Jahre auf eine Reihe von Erfolgen zurückblicken. Der wohl größte Erfolg war der erfolgreiche Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung, die in einem Schulterschluss von Zivilgesellschaft und Industrie schließlich auch zur Aufhebung der entsprechenden Richtlinie auf europäischer Ebene geführt hat. Zum anderen konnten wir im Rahmen dieser Diskussion erreichen, dass Beauskunftungen von Kundendaten zwischen Providern und Behörden nicht mehr über Briefe, Mails und Fax, sondern ausschließlich über eine verschlüsselte Plattform, die sogenannte Durchlaufstelle, erfolgen. Dieses Prinzip dient seither auch anderen europäischen Staaten als Anhaltspunkt für die Entwicklung einer sicheren Datenübertragungsmethode.

Im Prinzip gibt es beim Versuch, das Internet zu regulieren, immer eine Art Pendelbewegung: Der meist anlassbezogenen Forderung der Politik nach mehr Überwachung – 9/11 ist nur ein Beispiel – folgt ein Widerstand von Industrie und Zivilgesellschaft, der zumindest bisher fast immer zu einer Relativierung oder auch Zurücknahme der Maßnahmen geführt hat – siehe Vorratsdatenspeicherung.


medianet:
Gerade das Spannungsfeld ‚Freiheit im Internet' versus Sicherheit ist ja seit vielen Jahren ein Dauerbrenner. Wie schätzen Sie dieses Verhältnis ein?
Schuber: Ich bin der Überzeugung, dass es eines gesunden Mittelwegs bedarf. Es ist keine Demokratie möglich, wenn jeder Schritt – nicht nur – im Internet überwacht wird. Wenn die Angst aufkommt, dass alle unsere Aktivitäten protokolliert werden und jeder Gedanke irgendwo festgehalten wird, dann führt das dazu, dass wir unsere Ansichten nicht mehr frei äußern. Das wiederum führt zu Unsicherheit und kann letztendlich in Gewalt und schließlich in Widerstand gegen den Staat münden. Aus diesem Grund muss eine Balance gefunden werden.

Wir versuchen, in diesem Kontext eine starke Stimme zu sein. Wir gehen zum Beispiel konsequent mit fundierten Argumenten gegen politische Reflexe vor, die nach negativen Vorfällen die Schuld dafür im Internet suchen. Sehen wir uns beispielsweise die Forderungen der britischen Premierministerin May an, die unmittelbar nach den Anschlägen in London und noch bevor die Hintergründe klar waren, quasi reflexartig angekündigt hat, die Überwachung im Internet zu verschärfen, und damit die Schuld für die Vorkommnisse mehr oder weniger den Internet­unternehmen zugeschoben hat. Diese Schnellschüsse bekämpfen nicht einmal das Symptom und schon gar nicht die zugrundeliegende Ursache.


medianet:
Die ‚Freiheit im Internet' hat auch ihre Grenzen. Wie nimmt der Verband diese gesellschaftliche Verantwortung wahr?
Schubert: Die ISPA ist sich ihrer Rolle sehr bewusst und betreibt beispielsweise seit 1998 die österreichische Meldestelle gegen Nationalsozialismus und Kinderpornografie im Internet, ­‚Stopline.at'. Sowohl Provider als auch Nutzerinnen und Nutzer, die sich mit derartigen Inhalten konfrontiert sehen, können sich – anonym – an diese Meldestelle wenden. Dort werden die gemeldeten Inhalte analysiert und gegebenenfalls – nach Einbindung der Behörden – deren Löschung veranlasst. Dieses System funktioniert sehr gut, und speziell im Bereich des Kindesmissbrauchs werden mittlerweile über 90% der Inhalte innerhalb von 72 Stunden ab deren Meldung aus dem Internet gelöscht. Aber wir sind auch in diversen Gremien, beispielsweise gegen Hate Speech, sehr aktiv.

medianet:
Kinder beschäftigen sich heute immer früher mit dem Internet. Das birgt aber auch Gefahren. Was macht die ISPA dahingehend?
Schubert: Eine schon vor mehreren Jahren im Rahmen des Safer internet-Projekts durchgeführte Studie hat gezeigt, dass bereits damals mehr als die Hälfte der 3- bis 6-jährigen Kinder regelmäßig online sind. Übliche Maßnahmen wie Lehr- oder Unterrichtsmaterialien, die darauf ausgelegt sind, eine Medienkompetenz zu vermitteln, richten sich aber oft erst an eine deutlich ältere Zielgruppe. Deswegen haben wir im Rahmen des Saferinternet.at-Projekts zum Beispiel das Kinderbuch ‚Der Online-Zoo' entwickelt. Das Buch vermittelt medienpädagogisch aufbereitet Kindern ab vier Jahren spielerisch den sicheren Umgang mit dem Internet. Darüber hinaus publizieren wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern laufend Informationen zu anderen Internet-relevanten Themen wie etwa Fake News oder Hass-Postings. Weitere von uns erstellte Informationsmaterialien helfen bei Fragen, wie man das Internet optimal im Bewerbungsprozess nutzt, oder welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um den Digitalen Nachlass bei einem Todesfall zu regeln.

medianet:
Sie sprachen vorhin von stark voranschreitender ­Digitalisierung. Wie sehen Sie das Internet in zehn oder zwanzig Jahren?
Schubert: Wir befinden uns in einer sehr spannenden Zeit. Manche sprechen von einer Revolution, welche die industrielle Revolution in den Schatten stellen könnte. Auch wenn es abzuwarten ist, wie sich das Internet der Dinge oder z.B. die Blockchain-Technologie entwickeln werden: Was wir als sicher annehmen, ist, dass die Unterscheidung zwischen einer Offline- und Online-Welt, so wie wir sie jetzt kennen, wegfallen wird. Das Internet wird sich so reibungslos in unseren Tagesablauf einfügen, dass wir eigentlich nicht mehr unterscheiden können, wo das Internet beginnt und wo es endet.

medianet:
Wie wird es mit der ISPA weitergehen?
Schubert: Ich denke, zwei Fragen werden das Internet bei all seinen Entwicklungen weiter begleiten. Einerseits das bereits oben angesprochene Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Regulierung versus der Freiheit im Internet. Zweites die Frage, welches Maß an Wettbewerb dem Internet zu dessen optimaler Entwicklung verhilft. Wir vertreten als ISPA auch die Interessen der zahlreichen kleineren und mittleren Anbieter, die damit beschäftigt sind, auch die letzte Almhütte hoch am Berg oder Produktionsbetriebe in entlegenen Regionen Österreichs mit Internet zu versorgen. Für diese Unternehmen soll es eine faire Chance am Markt geben, was für uns ein klares Anliegen ist.

Wettbewerb ist eine Grundvoraussetzung für Innovation und somit für eine Weiterentwicklung des Internets. Ich sehe daher auch für die Zukunft eine Reihe von Herausforderungen, denen sich die ISPA, wie auch in den letzten Jahren, gern stellen wird.
Dieser Vorfall – die ISPA befand sich damals in der Gründung – zeigte letztlich, wie wichtig ein Interessensverband für die damals noch junge, aber doch schon aufstrebende Internetwirtschaft ist. Gleichzeitig wollte man auch die österreichische Domain-Verwaltung in einem eigenen Verein organisieren. Hier war Peter Rastl, der damalige Leiter des EDV-Zentrums der Uni Wien, federführend. Er ist nicht nur als der ‚Vater des Internets in Österreich' bekannt, sondern ist einer der Gründer der ISPA und langjähriger Wegbegleiter. Im Spätsommer 1997 fand dann die Gründungsversammlung der ISPA statt und der Verband wurde ins Vereinsregister eingetragen.


medianet:
Das Internet ist ja nicht auf Österreich beschränkt. Vor allem werden auch viele gesetzlichen Vorgaben in Brüssel getroffen. Welche Rolle spielt hier die ISPA?
Schubert: Die ISPA ist Gründungsmitglied der EuroISPA, des europäischen Dachverbands der Internet Service Provider, die die Anliegen von in Summe rund 2.500 Providern vertritt. Neben meiner Aufgabe als Generalsekretär der österreichischen ISPA bin ich gleichzeitig auch Vizepräsident der EuroISPA und habe so die Möglichkeit, legistische Prozesse in Brüssel aktiv mitzugestalten. In Österreich werden die auf EU-Ebene beschlossenen und definierten Rahmenbedingungen mit zeitlicher Verzögerung umgesetzt – manchmal mit mehr, manchmal mit praktisch keinem Spielraum. Umso wichtiger ist es, bereits bei der Entstehung von Richtlinien oder Verordnungen in Brüssel unseren Input zu liefern. Aber natürlich verlieren wir dabei die Umsetzung in Österreich nicht aus den Augen.

Das ergab ein so großes Medienecho, dass sich die Behörden doch gezwungen sahen, sich mit dem Internet genauer zu beschäftigen. Mittlerweile hat sich das Problemverständnis erheblich geändert, und es konnte mittlerweile durch gemeinsame Anstrengung aller Stakeholder eine sehr gute Gesprächsbasis zwischen Polizei, Justiz und Internetwirtschaft etabliert werden.

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