Poetry Slam statt Schlammschlacht
PRIMENEWS sabine bretschneider 22.04.2016

Poetry Slam statt Schlammschlacht

Noch rund 48 Stunden bis zur Wahlkabinenöffnung. Sie haben sich schon ein Bild gemacht – aber noch keinen Reim darauf?

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider


WAHLWERBUNG. Fragt nicht, was Euer Land für Euch tun kann, fragt, was Ihr für Euer Land tun könnt …? Eben. Am Sonntag wäre es so weit.

Das Finale im Wettrennen um die Bundespräsidentschaft gestaltet sich jedenfalls relativ ruhig: Die Elefantenrunde in der gestrigen Primetime liegt zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch in der Zukunft, weshalb etwaige Aufreger aus dieser großen Diskussionsrunde hier nicht mehr Eingang finden. Eine Prognose: Alle werden sich wacker schlagen, Frau Griss wird ihr Lächeln noch weiter professionalisiert haben, Herr Khol den letzten Schlagabtausch genießen, und Herr Hundstorfer hoffentlich nicht einschlafen. Richard Lugner wird nicht annähernd so erheiternd sein wie weiland Frank, der unabhängige Grüne Van der Bellen wird sich auf nichts einlassen, das nicht sein muss – und der Spitzenblaue Hofer wird erneut unter Beweis stellen, dass man auch ohne Kicklsche Reime durch einen Wahlkampf kommt.
Wobei ein episodisch eingestreutes Haiku ja an sich niemandem gravierend aufstoßen sollte. Japanische Haikus, dies ist jetzt schamlos aus Wikipedia geborgt, „bestehen meistens aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Lauteinheiten, wobei die Wörter in den Wortgruppen vertikal aneinandergereiht werden”. Das ist, falls Sie es ausprobieren möchten und nicht allzu tiefsinnig anlegen, a) keine allzu große Herausforderung und b) wird es, taktisch klug ins Gespräch eingestreut, ohnehin niemand erkennen. Im richtigen Rhythmus aufgesagt und in vollkommener ­Ignoranz der Interpunktion könnte man auch Satz eins dieses Kommentars durchaus als saloppes Haiku lesen. 17 Lauteinheiten, kein Scherz.

Nicht alles, was glänzt, ist bissfest …

Vor ein paar Jahren zitierte der Standard ­Michael Krüger – den deutschen Herausgeber, nicht den Linzer Kurzzeitjustizminister – mit einem, Vorsicht: Redundanz!, Zitat des russisch-US-amerikanischen Dichters und Nobelpreisträgers für Literatur, Joseph Brodsky: „Unsere Zivilisation sähe anders aus, wenn in den Parlamenten (…) vor jeder Sitzung, bei denen es um wichtige Entscheidungen geht, ein Gedicht vorgelesen wird. Ich bin mir sicher, jeder würde sich anstrengen, anders zu sprechen. Ja, die Welt sähe anders aus.”

Nun denn: Englische Konversation, eine Eierspeise machen, in Setteles Taxi den Fremdenführer geben, Hymnen singen, die ewig gleichen seltsamen Fragen nach Dingen beantworten, die den künftigen Präsidenten nichts angehen werden, das hatten wir alles schon. Warum also nicht … Obwohl: Das Gedicht aufsagen, das hatten wir auch schon. Sieger in dieser Disziplin – mit großem Abstand zu seinen Verfolgern, die sich auf die eine und andere Weise disqualifiziert hatten: Richard Lugner. Er rezitierte die Anfangsverse von Schillers „Glocke”, als obs kein Morgen gäbe. Chapeau!
Im Umkehrschluss müsste man jetzt allerdings anführen, dass, wie bereits erwähnt, blaue Wahlplakate schon lang mit der Gedichtform aufwarten. Doch so wie nicht alles, was hinkt, ein Vergleich ist, ist bei Weitem auch nicht alles, was sich reimt, ein Gedicht … Egal. Der frische Wind im Politmarketing wärs gewesen. Poetry Slamming statt Storytelling. Am Sonntag wissen wir mehr.

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