Warum Deutschland das ­bessere Österreich ist
© APA/Roland Schlager
Auch Ex-IHS-Chef Christian Keuschnigg kann sich angesichts der Rekordarbeitslosigkeit in Österreich die Schaffung eines Niedriglohnsektors – „mit sozialer Absicherung” – vorstellen.
PRIMENEWS sabine bretschneider 25.03.2016

Warum Deutschland das ­bessere Österreich ist

2005 lobt der Stern die rot-weiß-rote Erfolgsökonomie. Heute ist alles anders. Was wir uns vom Nachbarn abschauen könnten? Hartz IV …

••• Von Sabine Bretschneider

WIEN. Es war im Juni des Jahres 2005, als das Hamburger Magazin Stern sich in seiner Titelgeschichte dem Land inmitten des Erdteils widmete: Untersucht wurde, warum die Österreicher ökonomisch so gut dastehen und was die Deutschen von ihrem Nachbarn lernen können: „Ist Österreich das bessere Deutschland?”, titelte der Stern. Mit starkem Wirtschaftswachstum, moderater Arbeitslosenquote und geringer Neuverschuldung habe Österreich das geschafft, wovon Deutschland träume. „Denn ökonomisch haben die Österreicher die Deutschen längst überflügelt”, hieß es da. Zwar seien die Reformen in Österreich auch lange diskutiert, die Ergebnisse im Gegensatz zu Deutschland dann aber auch konsequent umgesetzt worden …

„Bittschön so fantastisch”

Als zentrale Maßnahme des österreichischen Reformpakets schilderte der Stern die Umgestaltung des Arbeitsmarkts, konkret die Abschaffung der hohen Abfindungen bei Kündigungen und die Umstrukturierung des AMS zu einer Service­agentur. Während die Arbeitslosenquote in der Alpenrepublik halb so hoch war wie in Deutschland und Österreich damit zu den EU-Ländern mit den wenigsten Arbeitslosen zählte, hatten vor gut zehn Jahren fünf Mio. Deutsche keine Arbeit.

Andere Maßnahmen, die das Hamburger Magazin hervorhob, waren die höhere Mehrwertsteuer von 20% (Deutschland 2005: 16%), die im Zuge der Zuge der Steuer­reform von 1993/94 abgeschaffte Gewerbesteuer und die vom Kabinett Schüssel II durchgeführte Senkung der Körperschaftssteuer auf 25%. Der Stern zitierte den damaligen Bundeskanzler Schüssel damit, dass es Österreich heute „bittschön so fantastisch” gehe, liege an „drei wirklich magischen Momenten”: der Öffnung zu Osteuropa, dem EU-Beitritt Österreichs und der „von mir geführten Regierung”.
Lang ist's her: Heute hinkt Österreich Deutschland in den meisten relevanten Indices hinterher – und die wirtschaftspolitische Diskus­sion dreht sich darum, was der große Bruder eigentlich in letzter Zeit so anders und so viel besser macht.

Deutschland als Job-Wunderkind

Der Standort Österreich und sein Arbeitsmarkt – mitsamt technologischem Wandel, Migration, Alterung und Wachstumsschwäche – standen am Dienstag dieser Woche im Mittelpunkt der sogenannten Wirtschaftspolitischen Gespräche, einer Veranstaltungsreihe der Wirtschaftskammer Österreich. Motto: „To learn from the best to become the best.”

„The best” – das waren im aktuellen Fall, unter der Moderation von Christoph Schneider, dem Leiter der WKO-Stabsabteilung Wirtschaftspolitik, Christoph M. Schmidt, Vorsitzender des Deutschen Sachverständigenrats und Präsident des RWI Essen, und Christian Keuschnigg vom Wirtschaftspolitischen Zentrum und der Uni St. Gallen.
Der Arbeitsmarkt und seine Verwerfungen sind in ganz Europa ein bestimmendes Thema; allerdings nimmt Österreich in manchen Bereichen eine Sonderrolle ein: Hier treffen sich derzeit „Rekordbeschäftigung und Rekordarbeitslosigkeit”, wie Schneider zu Beginn anmerkt, ein Zustrom von Arbeitskräften bei gleichzeitig bestehendem Fachkräftemangel: „Wir sind vom ‚besseren Deutschland' in allen Rankings hinter Deutschland abgerutscht.” Deutschland punktet mit sinkender Arbeitslosigkeit, stabiler budgetärer Lage und einem Reformvorsprung, der hierzulande in koalitionären Zwistigkeiten seit einiger Zeit zunehmend uneinholbar eingeschätzt wird.

Deutschland als Job-Wunderkind

Christoph M. Schmidt – er ist als Nachfolger von Bert Rürüp Mitglied des deutschen Wirtschaftsweisenrats, der in seiner Funktion als unabhängiges Beratergremiums seit den 1960er Jahren die gesamtwirtschaftliche Entwicklung begutachtet – setzte sich in seiner Keynote mit den Aspekten auseinander, die Deutschland die ausschlaggebende Wende am Arbeitsmarkt beschert hatten.

Als Auslöser des deutschen Jobwunders gilt die Hartz IV-Reform von vor gut zehn Jahren – eine Reaktion auf den Negativrekord bei der Arbeits­losigkeit.
Mit Hartz IV wurde eine breite Palette an Arbeitsmarktinstrumenten eingeführt. Letztendlich ausschlaggebend für die Trendwende am Arbeitsmarkt waren jedoch, so Schmidt rückblickend, die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, die Schaffung von Niedriglohnjobs, Leistungskürzungen in Dauer und Höhe der Arbeitslosenbezüge und Einschnitte bei den Frühpensionen, kombiniert mit sozialer Absicherung durch den Staat.

Das Rezept, das nicht geheim ist

Verantwortlich für die Einschnitte war eine rot-grüne Regierung; den damaligen Kanzler Schröder, erzählt Schmidt, kostete die Reform das Amt. „Es wurden mehr Menschen auch mit niedrigeren Qualifikationen in Beschäftigung gebracht, gleichzeitig aber auf soziale Sicherung gesetzt, also die Einkommensverteilung stabil gehalten.” Wenn ein Staat strukturelle Anpassungen rechtzeitig angehe, könnten ihn krisenhafte Ereignisse weniger aus der Bahn werfen. In dem Fall würden Maßnahmen der „internen Flexibilität”, also zum Beispiel Überstundenabbau oder Kurzarbeit, die Arbeitslosigkeit abfedern.

Jedenfalls wurden mittels der Arbeitsmarktreformen die Weichen gestellt für eine Entwicklung, die heute die Arbeitslosenrate in Deutschland schrumpfen lässt, während sie in Österreich unerbittlich steigt. Demgemäß empfiehlt Schmidt eben jene Kur als gar nicht so geheimes Erfolgsrezept für einen prosperierenden Arbeitsmarkt – eine „Stärkung der Marktkräfte, kombiniert mit den sozialen Leistungen des Staats”.

Unglückliche Reparaturen

In jüngster Zeit habe es jedoch auch weniger glückliche Weichenstellungen der Politik gegeben, kritisiert Schmidt etwa das Modell der „Rente mit 63”. „Dadurch wurden dem deutschen Arbeitsmarkt innerhalb eines Jahres rund 100.000 Personen entzogen – und das in Zeiten des Fachkräftemangels.” Auch die Mindestlohn-Einführung stößt bei dem Wirtschaftsweisen auf Kritik. Diese Maßnahme führe zu Risiken auf dem Arbeitsmarkt und sei zudem zur Armutsbekämpfung gar nicht notwendig gewesen, weil Deutschland ein funktionierendes Absicherungssystem hätte. „Eine Maschine zu reparieren, die funktioniert – das ist keine so gute Idee.”

Von Arbeitszeitverkürzung zur Senkung der Arbeitslosigkeit hält Schmidt nichts. „Es ist ein völlig fehlgeleitetes Argument, dass das Verteilen der bestehenden Arbeitszeit auf mehr Köpfe Beschäftigung schaffen würde”, so der Experte mit Verweis auf Frankreich, wo die 35-Stunden-Woche auf lange Sicht nicht Jobs gebracht, sondern gekostet habe. Schmidt sieht in Deutschland und Österreich eine stabile Mittelschicht und Einkommensverteilung – und keinen Grund für mehr Umverteilung.

Jede Beschäftigung entlastet

Auch Ex-IHS Chef Christian Keuschnigg kann sich angesichts der Rekordarbeitslosigkeit in Österreich die Schaffung eines Niedriglohnsektors nach Vorbild von Hartz IV vorstellen: „Jede Beschäftigung entlastet den Sozialstaat.”

„Wenn man den Negativtrend auf dem österreichischen Arbeitsmarkt durchbrechen will, müssen das Schaffen von Beschäftigung und die Krisenresistenz Priorität haben”, hielt Keuschnigg fest. Er sieht drei Faktoren, die einen Wirtschaftsstandort krisenresistenter machen: Erstens ein hoher Innovationsgrad, zweitens eine gute Eigenkapitalausstattung und drittens ein flexibler Arbeitsmarkt. „Denn Unternehmen sind die beste und wichtigste Sozialversicherung überhaupt. Ein gut aufgestelltes Unternehmen, das flexibel reagiert, wird Jobs auch in Krisen halten.”

Hohe Leistung macht „sensibel”

Angst vor der Digitalisierung ist laut Schmidt nicht angebracht: „Die Wirtschaftspolitik hat die große Aufgabe, zu begleiten und den richtigen Rahmen zu schaffen. Unternehmen vollziehen den Wandel, durch den Jobs wegfallen, aber auch neue Jobs entstehen.”

Warum es ausgerechnet gut entwickelte Märkte wie Österreich und Deutschland durch Digitalisierung und Industrie 4.0 so kräftig durchrüttelt? „Eine hochleistungsfähige Wirtschaft ist auch hochsensibel”, sagt Schmidt. Und jeder technologische Fortschritt habe auch immer große Umbrüche ausgelöst. Netto sollten im End­effekt die neu entstandenen Jobs die durch die Digitalisierung vernichteten übersteigen. Allerdings seien jene, die in der Industrie verloren gehen, leichter zu zählen und zu dokumentieren als andere, die etwa in Folge in der Dienstleistung oder im Gesundheitsbereich neu geschaffen werden.

Schellings Fauxpas

„In Österreich ist es auch deshalb schwer, Arbeitskräfte zu finden, weil das Arbeitslosengeld fast genauso hoch ist wie das Arbeitseinkommen. In Deutschland gibt es mit Hartz IV ein ­Modell, das offenbar besser ­funktioniert” – Finanzminister Hans Jörg Schelling hatte sich schon im vergangenen Sommer ein Stück weit aus dem Fenster gelehnt und versucht, das deutsche Modell als mögliches Vorbild für Österreich hinzustellen (in einem Interview mit dem Standard). Nach einem Aufschrei von SPÖ, Gewerkshaft und Arbeiterkammer war das Thema dann auch schon wieder erledigt … Ein Comeback dieser Diskussion ist, so scheint es, für die nähere Zukunft jedoch nicht ganz auszuschließen.

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