Welches Menschenbild bringt den höchsten Profit?
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PRIMENEWS 06.11.2015

Welches Menschenbild bringt den höchsten Profit?

Warum sich der Irrglaube, die Maximierung von Ausbeutung würde eine Maximierung des Ertrags ergeben, immer noch hartnäckig hält.

••• Von Klaas Kramer

Ich bewundere Unternehmer, die an ihre Mitarbeiter glauben, die ihnen etwas zutrauen und die Souveränität haben, auf Kontrolleinrichtungen zu verzichten. Im Vergleich führen sie erwiesenermaßen auch die profitableren Unternehmen.

Heute gilt als gesicherte Erkenntnis, dass Sklaverei und Kolonialismus von erschreckend schlechter Produktivität waren – und es noch immer sind, wo es sie heute noch gibt. Dennoch hält sich hartnäckig der Irrglaube, die Maximierung von Ausbeutung würde eine Maximierung des Ertrages ergeben. Die Aufzehrung von Kraft und Leben der Menschen, selbst wenn sie (fast) kostenlos arbeiten und bei Ableben (scheinbar) leicht zu ersetzen sind, stand von Anfang an in keinem Verhältnis zu den Kosten für Aufseher und Neubeschaffung von Sklaven – weder für den einzelnen „Betrieb”, noch für den Staat –, von Ethik, Humanismus und sozialen Folgekosten einmal abgesehen.
Hoch produktiv hingegen funktionieren Vereine, deren Mitglieder gemeinsame Ziele verfolgen, um die besseren Wege streiten und am Ende des Jahres sogar weniger Ausgaben haben als geplant.

Eine Lanze für die Y-Theorie

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr im Mikrokosmos einer Organisation das Menschenbild der Führungskraft das Menschenbild der „Gefolgschaft” prägt.

Vielleicht kennen Sie die XY-Theorie von Douglas McGregor: Die X-Theorie basiert auf der Annahme, dass der Mensch von Natur aus faul und sein Handeln eine bloße Reaktion auf Belohnung und Bestrafung ist. Im Gegensatz dazu geht die Y-Theorie davon aus, dass der Mensch selbstgesteuert ist und seine Handlungen danach orientiert, worin er einen Sinn sieht; Verantwortungsbewusstsein und Kreativität prägen dieses Menschenbild.
Wer mich kennt, weiß, dass ich – ebenso wie McGregor – Anhänger der Y-Theorie bin. Gleichzeitig bin ich sehr wohl davon überzeugt, dass beide Theorien sich selbst erfüllende Prophezeiungen sind: Wenn in einem Unternehmen der führende Patriarch seine Mitarbeiter nach der X-Theorie behandelt, so werden diese sich auch gemäß X-Theorie verhalten (oder das Unternehmen alsbald verlassen) und dem Firmeninhaber in seiner Annahme bestätigen. Genauso verhält es sich mit der Y-Theorie.
Global betrachtet, halte ich die X-Theorie jedoch für unhaltbar: Ich kenne kein Unternehmen, keinen Sportverein und keine Armee, noch nicht einmal eine Behörde, bei der durch Druck und Angst­erzeugung bessere Ergebnisse erzielt wurden als in einer Atmosphäre der Wertschätzung und Achtung, bei denen die Menschen ihre Talente entfalten können und wo sie mit dem Sinn der Organisationsziele konform gehen.

Sind Sie Marxist?

Für Marxisten ist der Kapitalismus per se ein Ausbeutersystem, das die freie Entfaltung des Menschen behindert, statt sie zu fördern. Unternehmer seien allein deshalb Ausbeuter, weil sie Gewinn machen. Dieses Erklärungsprinzip verkennt, dass der Unternehmer mehr als „nur” ein unproduktiver dispositiver Faktor in der Wertschöpfung ist. In einer Zeit, als die Wirtschaft von Gutsherren und Rockefellers geprägt war, mag dieses Erklärungsprinzip noch passend erschienen sein. Spätestens in Wirtschaften mit gesättigten Industriemärkten und erst recht in einer Wissensgesellschaft kann von einer Ausbeutung Arbeitender durch bloßes Disponieren wie auch immer angehäuften Kapitals keine Rede mehr sein.

Natürlich gibt es in unserer Wirtschaft nach wie vor eine Kultur des Abgrasens und -sahnens ohne Rücksicht auf Kollateralschäden: Hedgefonds, Amazon, Diamantenminen, ein großer Teil der Betreiber von Krankenhäusern und Altenheimen. Ich diskutiere gern an anderer Stelle, ob dies der Mainstream ist, nach dem sich alles andere richtet, oder ob das vermeidbare Unternehmenskulturen sind, die gerade wegen ihrer gesamtwirtschaftlichen Destruktivität langfristig gesehen verdrängt werden.
Die Drogeriemarktkette dm beweist, dass selbst im Handel eine menschliche Unternehmensführung zu allen Zeiten um ein Viel­faches profitabler gewesen ist als das Vergleichsunternehmen ­Schlecker.

X-Theorie als Risiko

Seit einiger Zeit arbeite ich auch mit Klienten, deren Geschäft nicht profitabel genug ist, um davon den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Die Klienten beziehen Hilfe zum Lebensunterhalt beim Jobcenter. Dabei ist es mein Job, über Coaching und Beratung die Voraussetzungen für einen rentablen Betrieb zu schaffen – und zwar ohne Subventionen, denn Geld ist keine primäre Lösung für eine unternehmerische Schieflage. Im Gegenteil: Überbrückungs- und Einstiegsgelder verschleiern allzu oft die tatsächliche Unrentabilität.
Bislang fehlt es bei der Mehrzahl der Amtsleiter bei den deutschen Jobcentern, den österreichischen AMS-Stellen und wahrscheinlich auch bei den politischen Entscheidungsträgern an Bewusstheit darüber, dass der Umgang mit den einzelnen Menschen auf einer erwachsenen Ebene zu pflegen ist. Durch einen von mir oft beobachteten Umgang in Form einer Eltern-Kind-Beziehung zwischen Arbeitsvermittler und Kunde wird eine Abnabelung verhindert. Die Behörde scheint mir von einem Menschenbild geprägt zu sein, das von der Überzeugung geleitet ist, man müsse Druck ausüben, um zu Ergebnissen zu kommen. In solchen Einrichtungen wird die X-Theorie gepflegt, was unternehmerisches Denken behindert. In einer Wirtschafts- und Arbeitsrealität, in der der sozialversicherungspflichtige Angestelltenjob vom Normalfall zunehmend zum Sonderfall wird und immer mehr Berufe auf selbstständiger Basis ausgeübt werden (müssen) – eben weil dies der Markt aus Kosten- und Flexibilitätsgründen so nachfragt –, stellt sich nicht mehr die Frage, ob jemand ausreichend unternehmerisches Bewusstsein ausgeprägt hat, um sich eine selbstständige Existenz aufzubauen.
Jenes Bewusstsein muss „am laufenden Motor” entwickelt werden, denn ich unterstelle – um den Kreis zur Y-Theorie zu schließen –, dass jeder das Potenzial dazu mitbringt.
Jeder Mensch hat die Anlage, als freier, souveräner Geist zu denken und zu handeln, Verantwortung für sich, seine Umwelt und die Verwirklichung seiner Berufung zu übernehmen. Es ist einzig eine Frage der Ausprägung von Bewusstsein – keine von Talent oder formaler Bildung.

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