Wohnen in Österreich – eine Wissenschaft für sich
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FINANCENET REAL:ESTATE 15.01.2016

Wohnen in Österreich – eine Wissenschaft für sich

Leistbares Wohnen erfordert ausreichendes Angebot: Die Bevölkerung wächst um rund 70.000 pro Jahr, die Ballungsräume boomen.

••• Von Paul Christian Jezek


Das Immobilien-Jahr 2015 war geprägt vom Dauerbrenner-Thema „Leistbares Wohnen” und der im Juli beschlossenen Steuerreform, mit der der Gesetzgeber der Immobilienwirtschaft neuerlich eine Mehrbelastung von rund einer halben Mrd. € beschert hat.

Laut aktuellen Einwohnerzahlen und Prognosen der Statistik Aus­tria wächst „unsere” Bevölkerung derzeit jährlich um rund 70.000 Personen. Grund dafür ist in erster Linie die verstärkte Zuwanderung, wobei ein nicht unwesentlicher Teil derzeit auf asylwerbende Personen entfällt. Früher als bisher prognostiziert – nämlich schon im Jahr 2022 – wird Österreich daher die 9-Millionen-Einwohner-Marke erreicht haben.

St. Pölten liegt im Trend

Hotspots der Zuwanderung sind die Stadt Wien, das nördliche Burgenland und in Niederösterreich speziell das Weinviertel.

Rund 30.000 der Zuwanderer wollen allein nach Wien. Der Süden der Bundeshauptstadt ist nach wie vor ein attraktives Wohngebiet, hat aber vergleichsweise wenig freie Fläche, sodass sich der wachsende Zuzug in den Norden und Osten außerhalb der Metropole verlagert – und davon profitieren Bezirksstädte wie Wolkersdorf, Korneuburg, Stockerau, Tulln oder auch Holla­brunn und Gänserndorf.
Niederösterreichs Landeshauptstadt St. Pölten wird gerade entwickelt und in den nächsten Jahren stark wachsen. „Die Barockstadt punktet mit guter Infrastruktur und wird immer mehr zur echten Alternative zum Speckgürtel rund um Wien”, meint Michael Pisecky, Geschäftsführer der s Real Immobilienvermittlung GmbH.
In Anbetracht der stark gestiegenen Preise für Wohnungen in den Ballungszentren sind Einfamilienhäuser und Reihenhäuser wieder stärker nachgefragt; somit ergibt sich für Niederösterreich insgesamt eine gute Marktlage rund um Wien, in den Bezirkshauptstädten und in den infrastrukturell gut ausgestatteten Regionen. Denn im Mietmarkt Wien sind die überwiegende Nachfrage und oft auch die finanziellen Möglichkeiten der Mieter von vor zwei Jahren 1.000 auf nunmehr 800 € monatlich gesunken und fallen tendenziell weiter in Richtung 700 € im Monat. Das führt zwangsläufig zu einem Mangel an günstigen (kleinen) Wohnungen und zu einem Preisdruck bei Mieten von mehr als 1.000 €. Im Bereich der gebrauchten Eigentumswohnungen ist das Angebot nach wie vor knapp, wodurch weiterhin Potenzial für eine Preisentwicklung nach oben besteht. Im Neubau gibt es mittlerweile ein breites Angebot mit vielen Top-Projekten, eine gute Nachfrage und sehr wählerische Kunden. Die Verwertungsdauer steigt und hier ist auch in den ober(st)en Geschoßen ein Bedarf an kleineren Einheiten zu erkennen.

Die Situation in der Grünen Mark

Die Marktsituation in Graz ist im Vorjahr gegenüber 2014 stabil geblieben. Der sehr guten Nachfrage steht ein großes Angebot an fertiggestellten Neubauprojekten gegenüber. Die Käufer für Erstbezugswohnungen sind in der Auswahl selektiver geworden: Erst nach Prüfung und Vergleich mehrerer Projekte wird eine Kaufentscheidung getroffen. Im Segment der Gebrauchtwohnungen ist in guten Lagen die Nachfrage immer noch höher als das Angebot. Zur Vermietung sind am Grazer Markt sehr viele freistehende Neubauprojekte vorhanden, die Verwertungsdauer im Segment der Miete hat sich aufgrund des hohen Angebots deutlich verlängert.

In den Bezirksstädten funktionieren die Märkte für gebrauchte Eigentumswohnungen weiterhin sehr gut. Auffallend ist, dass die Nachfrage nach gebrauchten Einfamilienhäusern in den Bezirksstädten gegenüber dem Vorjahr wieder gestiegen ist. Das gilt für gute Lagen mit einer guten Verkehrsanbindung und Infrastruktur.

Kärnten, OÖ, Salzburg

Auch in Kärnten gibt es wenig Veränderung am Immobilienmarkt, und das wird wohl auch 2016 so bleiben. Leicht steigende Preise sind vor allem in den Ballungsräumen Klagenfurt und Villach sowie in den jeweiligen Umland­gemeinden zu konstatieren. Auch die Bauträgertätigkeit beschränkt sich fast ausschließlich auf diese Großräume.

In ländlichen Randlagen hingegen stagnieren die Preise bzw. sind sogar rückläufig, eine Trendumkehr war hier auch 2015 nicht zu erkennen.
In Oberösterreich war der Immobilienmarkt auch heuer wieder auf den Zentralraum Linz-Wels konzentriert. In dieser Region gibt es ein gesundes Wachstum im überschaubaren Rahmen, der Hype der vergangenen Jahre ist allerdings vorbei, eine „Blasenbildung” bei den Immobilienpreisen ist jedenfalls nicht zu erkennen. In und rund um die Bezirksstädte ist wieder Motivation zu erkennen, in ein Zuhause zu investieren; entscheidend ist dabei jedenfalls die Qualität der Infrastruktur.
In der Stadt Salzburg gibt es weiterhin ein größeres Angebot an Eigentumswohnungen, doch im Vergleich zu den Vorjahren auf einem höheren Preisniveau. „Die Nachfrage nach Wohnungen im unteren bzw. mittleren Preissegment ist weiterhin gegeben, jedoch im Vergleich zu den Vorjahren zurückhaltender”, erklärt Pisecky. „Im hochpreisigen Segment gibt es einen größeren Leerstand und auch eine geringere Nachfrage. Bei diesen Immobilien muss für den zukünftigen Besitzer wirklich alles perfekt sein und den eigenen Wohnvorstellungen entsprechen.”
Grundstücksmangel im Neubaubereich ist weiterhin gegeben, jedoch hat sich die neue Salzburger Wohnbauförderung in diesem Bereich als durchaus positiv für den Markt herausgestellt und die Finanzierbarkeit der Wohnwünsche erleichtert.

Westwärts

In Tirol befinden sich mit Innsbruck und Kitzbühel gleich zwei der teuersten Städte Österreichs.

Nachfrage nach gebrauchten Häusern und Wohnungen ist nach wie vor vorhanden, insbesondere kleinere Wohneinheiten bleiben für den Eigenbedarf wie auch als Kapitalanlage begehrt. Es fehlt hier allerdings das entsprechende Angebot – wenn der Verkaufserlös nicht unmittelbar benötigt wird, behält der Eigentümer seine Immobilie und vermietet sie.
Auch 2016 werden Immobilien in Tirol nicht billiger werden – so rechnet s Real-Michael Pisecky schon allein aufgrund der Topografie und den damit verbundenen natürlichen Flächenbegrenzungen weiterhin mit Preissteigerungen von 2 bis 3%.
In Vorarlberg sind die Immobilienpreise 2015 trotz des schon hohen Niveaus weiter leicht gestiegen, in ausgesprochenen Top-Lagen oder bei sehr gefragten Immobilien sind die Preissteigerungen sogar noch stärker ausgefallen. Gut ausgestattete Mietwohnungen sind schon seit längerer Zeit Mangelware, und aufgrund der zuletzt höheren Immobilienpreise bei Eigentum ist die Nachfrage nach Mietwohnungen ebenfalls gestiegen.

Wie es heuer weitergeht

„Bezüglich Wohnimmobilien erfolgt die Investitionsentscheidung immer mehr aus Sicht der Wertbeständigkeit”, fasst Pisecky zusammen. „Die beschlossenen Neuerungen für 2016 (Steuerreform) und die Diskussion um weitere Reglementierungen hemmen die Investitionsbereitschaft und schaden der privaten Wohnungswirtschaft.”

Besonders in den Ballungsgebieten werde die verstärkte Zuwanderung den Immobilienmarkt auch heuer nachhaltig beeinflussen. Die Forderung nach einem ausreichenden Angebot an Wohnraum und die damit einhergehenden gesetzlichen und regulatorischen Änderungen sowie die Reduzierung von Hemmnissen werden nicht so schnell aus den Schlagzeilen verschwinden. ­Pisecky: „Der soziale Wohnbau wird diese Herausforderung nicht allein bewältigen können, es bedarf also vermehrt auch privater Investitionen, um die Situation durch ausreichendes Angebot auf Dauer zu entspannen.”
Ein neues Wohnrecht werde nicht genügen, sondern ein nationaler Aktionsplan erforderlich sein, um eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum zu ermöglichen. „Konsequenzen aller Gesetze, Ordnungen und Normen, die auf die Wohnungswirtschaft wirken, sind zu überprüfen”, fordert Pisecky. „Grundsätzlich sollten konkrete Zielsetzungen formuliert, die Umsetzung im Verantwortungsbereich des Durchführenden belassen und nicht gestraft, sondern Anreize geschaffen werden. Dies betrifft das Wohnrecht, wo nun eine Novelle des WGG vorliegt, aber noch immer keine Einigung im MRG möglich war, sowie auch das Durchforsten von Flächenwidmung, Bauordnung und Normen.”

Nachverdichtungsbedarf

Die Verdichtung im Bestand bietet Potenzial, weiteren Wohnraum ohne zusätzliche Infrastrukturkosten zu schaffen.

Mehr als die Hälfte des Wohnungsbedarfs könne durch Nachverdichtung abgedeckt werden, wenn die Bauordnung und Flächenwidmung dementsprechend angepasst wird, schätzt Pisecky. Konkrete Vorschläge zur besseren Nutzung unbebauter Flächen gibt es von Pro Bauen gemeinsam mit der GBV z.B. durch die fertig vorliegende Baurechtsnovelle und die Erhöhung der Baudichte. In Österreich sucht man die Infrastruktur der Stadt, will deren Vorteile genießen und gleichzeitig am Land wohnen. Das führt dazu, dass mit zu geringer Dichte gebaut wird, weshalb kein städtisches Umfeld entsteht und viel Platz verbraucht wird, was wiederum hohe Infrastrukturkosten bewirkt. Es wird daher in zahlreichen Ballungsgebieten „verdichtet” gewohnt, aber ohne städtisches „Flair”.
„In dieser Mangelsituation mit z.B. einer Mietobergrenze zusätzlich zu regulieren, führt zu einer weiteren Reduktion der Mietwohnungen, Verschlechterung der Qualität und zu einem neuen Miet-Adel. Das kann niemand wirklich wollen”, resümiert Pisecky: „Ausreichendes Angebot schaffen und dadurch die Kosten im Griff halten! Es gibt überall viel zu wenig Kleinwohnungen – man sollte aufhören, so viele Penthäuser und große Wohnungen zu bauen, sondern sich auf kleinere Einheiten auch in den oberen Stockwerken konzentrieren, sonst produziert man am Bedarf vorbei.”
Dabei sollte auch der Gesetzgeber Anreize setzen, fordert Pisecky: „Derzeit sind nämlich Wohnungszusammenlegungen steuerlich begünstigt. Warum begünstigen wir nicht den Umbau von großen Wohnungen auf kleinere?”

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