Ausbeutung: Gibt’s bald Brösel im Handel?
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RETAIL daniela prugger 24.03.2017

Ausbeutung: Gibt’s bald Brösel im Handel?

Im Interview erklärt Anita Palkovich (GPA-djp), welche Missstände im Handel System haben.

••• Von Daniela Prugger

Das Teilzeit-Modell hat sich im Handel fest etabliert. Manche Unternehmen bieten keine Vollzeitstellen mehr an. Warum gerade Frauen unter diesem Umstand leiden und wie eine viel zu geringe Personaldecke Unternehmen schaden kann, erklärt Anita ­Palkovich, Wirtschaftsbereichssekretärin in der GPA-djp, im Interview mit medianet.

 

medianet: Was zeichnet den österreichischen Handel im Gegensatz zu anderen Branchen aus?
Anita Palkovich: Er ist weiblich. Der Anteil an Teilzeit ist hoch. Und seine Öffnungszeiten betreffen alle.

medianet: Wie bewertet die ­Gewerkschaft die hohe Marktkonzentration im LEH?
Palkovich: Ich glaube, diese Konzentration fällt uns nur deshalb auf, weil der LEH der beschäftigungsstärkste Bereich ist. Dabei haben wir die Konzentration ja genauso im Elektrohandel, im Buchhandel, im Drogeriebereich und im Spielzeughandel.

medianet: Anders gefragt: Welchen Einfluss hat die Marktkonzentration auf Arbeitnehmer?
Palkovich: Ich denke, dass die Mobilität der Arbeitnehmer eingeschränkt wird. Auf der anderen Seite macht es die hohe Konzentration aber auch einfacher, sich über den Arbeitgeber zu informieren. Also: es wird mehr Transparenz geboten.

medianet: Zum Top-Thema des letzten Jahres: Wie ist denn die Zielpunkt-Pleite in den Augen der Gewerkschaft abgelaufen?
Palkovich: In so einer Situation ist es für uns besonders wichtig, den Betriebsrat zu unterstützen – vor allem fachlich, aber auch persönlich. Für die Betroffenen ist sowas eine Ausnahmesituation. Und auf einmal werden die Betriebsräte zu den ersten Ansprechpersonen für ganz persönliche Schicksale und Ängste. Das muss man einerseits beraten, andererseits auch aushalten können. Als Gewerkschaft haben wir auf mehreren Ebenen unterstützt und auch Arbeitsstiftungen eingerichtet. Leider haben noch immer viele ex-Zielpunkt-Angestellte keine Arbeit gefunden.

medianet: Der Großteil dieser gut 500 ehemaligen Angestellten ist weiblich und in einer höheren Altersgruppe. Warum finden sie keine Arbeit?
Palkovich: Viele Kolleginnen bringen viele Vordienstjahre mit sich, das würde eine höhere Einstufung im Handelskollektivvertrag bedeuten. Dabei liegt der Mehrwert solcher Mitarbeiterinnen ja auf der Hand: sie haben viel Erfahrung, was Produktwissen und soziale Kompetenz betrifft.

medianet: Spielen die sozialen Kompetenzen der Angestellten im LEH denn wirklich eine Rolle für die Konsumenten?
Palkovich: Das sind Leute, die ihr Handwerk von der Pieke auf gelernt haben. Wir haben uns zwar mit dem Selbstbedienungscharakter im Handel irgendwie abgefunden. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Wahl des Personals anhand von sozialer Kompetenz und Erfahrung erfolgen muss. Das wirkt sich auch auf das Team eines Unternehmens aus. Zu glauben, dass Kundenbindung ausschließlich über Kundenkarten funktioniert, ist überholt. Kundenkarten – das kann’s noch nicht gewesen sein.

medianet: Gibt es also eine ­‚Alters-Diskriminierung'?
Palkovich: Nein. Es gibt einfach ein großes Angebot an Arbeitskräften, und je nachdem, welches Personal ein Arbeitgeber einsetzt, ist mitunter auch Teil der Unternehmensphilosophie und -ideologie. In vielen Fällen ist es eine simple Kostenrechnung.


medianet
: Was stört Sie an dieser Personalpolitik im Handel?

Palkovich: Was wirklich an die Substanz der Menschen geht, ist die geringe Personaldecke im Handel. Da geht es darum, dass jemand an der Kassa sitzt, Ware entgegennimmt, aufräumt, berät. Das Personal ist so knapp bemessen, dass jeder Ausfall die Personalplanung vor riesige Herausforderungen stellt. Einerseits wird den Leuten eine große Flexibilität abverlangt, andererseits sind sie einer permanenten Unsicherheit ausgesetzt. Den Mehrarbeitszuschlag gibt es zwar im Gesetz, aber die Arbeitgeber versuchen ihn ja mit Stundenausgleich zu umgehen. Das fällt speziell im LEH auf.

 

medianet: Was bedeutet die geringe Personaldecke für die weiblichen Angestellten?
Palkovich: Es ist schwierig, flexibel zu sein, wenn man zu Hause auch noch eine große Verantwortung hat. Die Bereitschaft der Angestellten, sich gegenseitig zu unterstützen, ist groß. Aber wenn die solidarische Planung nicht mehr gut ist, dann wird das für das Unternehmen teurer.

 

medianet: Warum ist die Handelsbranche eigentlich so weiblich? Und warum stehen an der Unternehmensspitze aber so viele Männer?
Palkovich: Die Arbeit im Handel ist keine ‚schlechtere' Arbeit. Man muss auch dazu sagen, dass der Handel Arbeitsplätze hat, die oft in Wohnungsnähe und in den ländlichen Bereichen vorhanden sind. Und in vielen ländlichen Bereichen gibt es nur noch den Handel als Arbeitgeber. Aber die klassischen Rollenbilder dominieren nach wie vor. Man könnte es vielleicht so sagen: Für Frauen ist der Handel eine Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen – für eine geringe Entlohnung und bei unattraktiven Arbeitszeiten.

medianet
: Verdienen Frauen im Handel nun weniger als Männer oder nicht?
Palkovich: Frauen verdienen bei gleicher Tätigkeit weniger als Männer. Aber die Benachteiligung beim Gehalt findet auf subtile Art und Weise statt: also wenn’s um Provisionen, Vereinbarungen und Beteiligungen geht.

medianet: Das Teilzeitmodell wird vor allem von Frauen genutzt. Manche argumentieren, dass dieser Umstand bei Statistiken, die eine Gender Pay Gap feststellen, nicht beachtet wird.
Palkovich: Es gibt genügend Untersuchungen, die zeigen, dass Frauen bei gleicher Tätigkeit immer noch weniger verdienen. Abgesehen davon muss man das Bild generell zurechtrücken. Es gibt die Frauen, die gern Teilzeit arbeiten wollen.

Auf der anderen Seite bietet der Handel keine anderen Arbeitsplätze mehr an. Es gibt Unternehmen, die keine Vollzeitstellen mehr anbieten. Dass sich die Frauen also wirklich alle das Teilzeitmodell aussuchen, stimmt schlichtweg nicht. In Führungspositionen wiederum gibt es fast ausschließlich Vollzeitarbeitsplätze; in diesen Positionen sind dann vor allem Männer zu finden.


medianet: Wie setzt sich die Gewerkschaft denn speziell für Frauen ein?
Palkovich: Wir setzen uns seit Jahren für eine Anrechnung der Karenzzeiten auf Dienstzeiten ein. Wir haben festgestellt, dass es da strukturelle Informationsdefizite gibt. Frauen werden nach der Karenz manchmal fälschlicherweise zurückgestuft. Hin und wieder ist das EDV-System falsch programmiert, oder es wird schlampig gearbeitet. Es geht uns darum, zu verhindern, dass die Frauen nach dem Kinderkriegen nicht zurückfallen. Das müssen wir endlich durchsetzen. Daran könnten sich andere Branchen ein Beispiel nehmen.

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