Die wunderbare Welt des Bargelds
© APA/Herbert Pfarrhofer
Barzahlungsanteil Während es für Österreich keine aktuellen Zahlen gibt, zahlen in Deutschland ­Privatpersonen laut der Bundesbank 53% der Umsätze bar.
RETAIL 05.02.2016

Die wunderbare Welt des Bargelds

Bargeld ist nicht nur teurer, sondern auch zeitaufwendiger als Kartenzahlungen. Trotzdem sind die Scheine weiterhin begehrt.

Stellen Sie sich vor, der Augustin-Verkäufer vor dem nächsten Supermarkt nimmt kein Bargeld mehr an. Kaum zu glauben? In Schweden ist das inzwischen Realität. Das skandinavische Land, dessen Geldumlauf den stärksten Digitalisierungsgrad in ganz Europa aufweist, nimmt langsam Abschied vom Bargeld. Mittlerweile kann dort beim kleinsten Greißler mit Kreditkarte gezahlt werden, einige Geschäfte sind sogar so weit gegangen, gar kein Bargeld mehr zu akzeptieren. Und auch die Verkäufer der Obdachlosenzeitungen sind mit einem Kartenterminal ausgestattet, nachdem der Verlag große Mühe hatte, eine Bank zu finden, die sich noch zur Einzahlung der Bareinnahmen aus den Verkäufen der Straßenhändler bereit erklärte. Insgesamt machen 80% der Schweden ihre Einkäufe mit Karte.

Auch die Regierung in Kopenhagen will das Bargeld – mit wenigen Ausnahmen – de facto abschaffen. Dänemark hat im vergangenen Sommer einen Plan vorgelegt, nach dem dänische Geschäfte schon ab heuer komplett auf Bargeld verzichten könnten. Das bargeldlose Bezahlen sei „nicht länger eine ­Illusion, sondern eine Vision, die sich innerhalb eines nachvollziehbaren Zeitrahmens umsetzen lässt”, erklärte Jesper Busk-Jepsen vom dänischen Bankenverband gegenüber CNN. Ab 2017 soll die dänische Notenbank dann überhaupt keine Banknoten mehr drucken.

„Fürchterlich teuer”

Langsam mehren sich auch in Mitteleuropa die Stimmen, die an der Sinnhaftigkeit des Bargelds zweifeln. So erklärte etwa John Cryan, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bank, beim jüngsten Weltwirtschaftsforum in Davos, dass Cash „fürchterlich teuer und ineffizient” sei. Bargeld helfe nur noch Geldwäschern und anderen Kriminellen, ihre Geschäfte zu verschleiern. Doch gerade die Deutschen hängen immer noch an Schein und Münzen: Laut Erhebungen der Bundesbank wurden 79% der Transaktionen in bar abgewickelt, etwas mehr als die Hälfte der Umsätze im Einzelhandel werden mit Bargeld abgewickelt.

Entscheidung des Kunden

„Meines Erachtens wird der Anteil des unbaren Zahlungsverkehrs zunehmen und trotzdem wird Bargeld bleiben”, so Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele gegenüber der Bild-Zeitung nach dem Cryan-Vorstoß. Barzahler schätzen es, dass sie einen genaueren Überblick über ihre Ausgaben haben und sich beim Bezahlen keine Sorgen über Datenschutz machen müssen, so Thiele weiter.

Auch beim Handelsverband HDE glaubt man nicht an einen schnellen Abschied von Schein und Münze: „Ob und wann das Ende für das Bargeld kommt, entscheiden die Kunden. Der Handel nimmt derzeit noch mehr als die Hälfte seines Umsatzes per Bargeld entgegen”, ließ HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth auf Nachfrage erklären. „Insofern ist ein Ende noch nicht absehbar, auch wenn die Umsätze mit Kartenzahlungen stetig, aber langsam steigen.”
Zu einem ähnlichen Schluss kam eine Studie der WU-Professoren Hanns Abele und Guido Schäfer, die im vergangenen April Auskunft über die Kosten von Bargeld und Bankomatkarte in Österreich gab: Für Beträge über 10 € ist demnach die Bezahlung mit Bankomatkarte kostengünstiger als mit Bargeld. Dies zum Trotz der oftmals gehörten Kritik, dass Bankomat-Zahlungen etwa an der Supermarktkasse deutlich länger dauern würden als Barzahlungen. Denn, so Abele und Schäfer: Der zeitliche Aufwand für Konsumenten ist bei Bezahlung mit Bargeld, bedingt durch die Wegzeiten zur Bank bzw. zum Bankomaten, um bis zu neun Stunden höher als der zeitliche Aufwand für die Bezahlung mit Bankomatkarte. Die Studienautoren empfehlen daher eine koordinierte Initiative und konkrete Maßnahmen zur Förderung kosteneffizienten Zahlungsverhaltens.

Die Kosten des Bargelds

Die zentrale Botschaft der Studie mit dem Titel „Die Kosten des Bargelds in Österreich”: Obwohl sich das bestehende österreichische Zahlungssystem am Point of Sale im internationalen Vergleich als relativ kosteneffizient erweist, besteht dennoch erhebliches Potenzial für Kostensenkungen. Konkret wurde erhoben, dass Barzahlungen bei mittleren und höheren Beträgen volkswirtschaftlich teurer sind als Zahlungen mit der Bankomatkarte. Abele begründet dies wie folgt: „Die Kosten des Bargelds steigen relativ stark mit der Höhe des Zahlungsbeitrags an, da mehr Geld produziert, gezählt, verwahrt, sicher transportiert und serviciert werden muss. Die Kosten von Bankomatkartenzahlungen steigen jedoch nur geringfügig mit der ­Beitragshöhe.”

Mehr Zahlungen mit Bankomatkarte ermöglichen deutliche Kosteneinsparungen. Die Berechnungen des Gutachtens zeigen, dass für Österreich im Jahr 2013 die Betragsgrenze für kosteneffiziente Zahlungen bei einem Wert von rund 10 € lag. Durch den Einsatz von Kontaktlostechnologie (NFC) wird dieser Wert noch weiter sinken, da schon heute rund 6 Mio. Bankomatkarten mit der Kontaktlosfunktion ausgestattet sind. „In den kommenden Jahren werden – ähnlich wie in anderen Ländern – Bankomatkartenzahlungen auch bei kleineren Beträgen das kosteneffizientere Zahlungsinstrument in Österreich sein”, stellt Abele fest und betont weiter: „Wir haben berechnet, dass durch die Ausweitung von Bankomatkartenzahlungen mittelfristig und volkswirtschaftlich gesehen ein Betrag zwischen 150 und 300 Mio. Euro pro Jahr eingespart werden kann.”

Zeitliche Effizienz

Die volkswirtschaftlichen Kosten des Bargelds betrugen laut Studie 2013 mit 1,2 Mrd. € rund 0,36 Prozent des BIP, während sich die Kosten für das Bankomatkartensystem mit 150 Mio. € auf 0,046 Prozent des BIP beliefen. Pro Euro Umsatz bedeutet das eine Differenz von 1,8 Cent. Österreich liegt mit diesem Wert trotz des hohen Anteils an Bargeldtransaktionen knapp hinter einem kosteneffizienten Land wie den Niederlanden und unter dem europäischen Durchschnitt. Der zeitliche Aufwand für die Bezahlung mit Bargeld kostete Konsumenten insgesamt etwa 102,5 Mio. Stunden im Jahr 2013, der für die Bezahlung mit Bankomatkarte belief sich auf etwa 8,2 Mio. Stunden. Demgegenüber steht die erwähnte Zeitersparnis von rund neun Stunden jährlich in der bargledlosen Alternative. „Der mit Bargeldabhebung verbundene zeitliche Zusatzaufwand war im Schnitt wesentlich größer als allfällig kleinere Zeitersparnisse durch Barzahlung”, analysiert Schäfer und ortet daher eine „deutliche Zeitersparnis für Konsumenten, wenn diese auf die Bezahlung mit Bankomatkarte zurückgreifen”.

Cash-affines Land

Es spricht also inzwischen einiges für Kartenzahlungen, auch wenn selbst Kartenanbieter noch nicht ganz an das Ende von Cash glauben wollen. So meinte erst im Jänner Visa Europa-Geschäftsführer Kurt Tojner gegenüber dem Kurier, dass Österreich mit einem Bargeldanteil von rund 80% immer noch ein sehr cash-affines Land sei. Einen Schub für die Verbreitung der Kartenzahlung brachte laut Tojner die von der EU verordnete Senkung der Kreditkartengebühren für Händler. Seit Anfang Dezember sind die Interbankenentgelte für Kartenzahlungen gedeckelt. Händler zahlen für das Akzeptieren von Debitkarten maximal 0,2% des Transaktionswerts und für Kreditkarten 0,3% an die Bank des Karteninhabers. Mit Ausnahme von Hofer gebe es nun keinen einzigen großen Lebensmittelhändler mehr, der keine Kreditkarten akzeptiere, so Tojner.

Dass der Trend aus Skandinavien, Bargeld aus dem Alltag langsam zu verbannen, aber auch in Mitteleuropa ankommt, beweist die 50.000-Einwohnerstadt Kleve am Niederrhein nahe der niederländischen Grenze. Dort sollen zumindest Ein- und Zwei-Cent-Münzen bald der Vergangenheit angehören. Unter der markigen Überschrift „Kleve verbannt das Kleingeld” wurden 800 Einzelhändler im Jänner dazu aufgerufen, sich ab dem 1. Februar an der Aktion zu beteiligen.
Die Preise sollen dann auf- beziehungsweise abgerundet werden: Kosten zwei Artikel zusammen beispielsweise 14,48 €, werden bar 14,50 € fällig; kommt ein Gesamtpreis von 15,61 € zustande, wird auf 15,60 € abgerundet. Kleingeld sei für den Einzelhandel zunehmend ein Kostenfaktor, heißt es zur Begründung. „Wir liegen nah an der Grenze, die Niederländer machen das seit elf Jahren”, erklärte die Geschäftsführerin des Stadtmarketings, Ute Marks, die abschließend meint: „Vielleicht geht ja von dem kleinen Kleve mal eine Welle übers Land.”

••• Von Christian Horvath

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