Logistik in der Schlüsselrolle
© leadersnet.at/Daniel Mikkelsen
Werner Wutscher ist Leiter des Ressorts Handel & Innovation im Handelsverband.
RETAIL natalie Oberhollenzer 19.06.2015

Logistik in der Schlüsselrolle

Interview Händler mit Innovatoren zusammenbringen: Werner Wutscher baut Brücken zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen

Wutscher über Crowd Logistic, „Prosumer” und den Stand Österreichs in Sachen Digitalisierung.

Wien. Werner Wutscher, Chef der Firma New Venture Scouting und Leiter des Ressorts Handel und Innovation im Handelsverband, expliziert im Interview, warum er in der Crowd Logistic großes Zukunftspotenzial sieht.

medianet: Herr Wutscher, Sie bezeichnen Crowd Logistics als eine der wichtigsten Innovationen im Bereich Handel und IT. Welches sind die größten Vorteile aus ökonomischer und aus ökologischer Sicht?
Werner Wutscher: Crowd-Logis-tic heißt im engeren Sinn, dass Konsumenten einen Teil der Logis-tikleistung erbringen und damit zum ‚Prosumer' werden. Ein gutes Beispiel in Österreich ist die Plattform Checkrobin. Sie können sich als Privater registrieren, wenn Sie eine Fahrt vor sich haben und ein Dritter gibt Ihnen ein Paket mit. Dafür erhalten Sie eine fixe Vergütung. In dem Fall wird das private Transportpotenzial, das nur zu einem kleinen Teil ausgelastet ist, in die kommerzielle Logistikdienstleistung integriert. Das ist auch ökologisch sinnvoll, weil die private Fahrt ohnehin stattfindet. Crowd-Logistic in einem weiteren Sinn hat aber noch viel mehr Potenzial: Derzeit hängt der gesamte Onlinehandel am Flaschenhals der Lösung des ‚Last Mile Delivery', also der Lieferung zum Endkunden. Mit den herkömmlichen logistischen Tools ist das aufgrund der Kosten sehr schwer zu bewältigen und zu lösen. Daher können Kooperationen mit innovativen Partnern bzw. Start-ups hier eine Lösung anbieten.

medianet: Warum täte der heimische Handel gut daran, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Wutscher: Mir fallen in Wien gleich mehrere Modelle ein, die sich mit dem Problem des ‚Last Mile Delivery' auseinandersetzen. Ein Start-up bietet z.B. die Nutzung von nicht ausgelasteten Taxis an, oder es werden über andere Kanäle Konsumenten in die Lieferkette einbezogen. Da gibt es noch viele Anlaufschwierigkeiten, der Handel sollte das aber genau beobachten, weil darin viel Innovationspotenzial liegt. Beim Lieferservice Zuper wird die Last Mile Delivery komplett an den Kunden ausgelagert. Diese Modelle entwickeln sich gerade und jeder der Akteur im Onlinehandel.

medianet: Wie intensiv wird Crowd Logistics bereits angewendet? Und in welchen Ländern? Gibt es ein Best Practice-Beispiel?
Wutscher: Das prominenteste Beispiel ist sicher die Kooperation von DHL mit MyWays. DHL hat Crowd-Logistik-Modelle genau analysiert und dann in Zusammenarbeit mit dem internen Innovationscenter ein eigenes Start-up entwickelt, das es ermöglicht, Pakete individuell aufzugeben und zu liefern. Kunden können Lieferungen selbst bestimmen, und private Lieferanten können extra Geld verdienen.

medianet: Wo steht Österreich im internationalen Vergleich?
Wutscher: Österreich ist bei der Digitalisierung im Mittelfeld, und hier sehe ich auch den österreichischen Handel. In Europa ist der Graben zwischen den Konsumenten, die schon weiter sind, und der Wirtschaft groß. So geht es vielen europäischen Ländern. Umso wichtiger ist es aufseiten der Unternehmer, offen für Innovation und gesellschaftliche Veränderungen zu sein.

medianet: Wie werden sich die logistischen Systeme in den nächs-ten 10 bis 20 Jahren entwickeln?
Wutscher: Der Handel steht vor einer grundsätzlichen Umwälzung. Die Vorstellung, dass ein Online- shop und eine App das Problem schon lösen, ist ein großer Irrtum. Es wird darum gehen, im stationären Handel die Erlebnisqualität und die Beratungskompetenz des Verkaufspersonals massiv zu erhöhen. Nur dann hat man eine Chance. Das heißt, ein ganzheitlicher Ansatz, der auch die Warenwirtschaft und die Logistik betrifft. Die Logistik wird eine Schlüsselrolle spielen, denn ohne neue, innovative Modelle werden diese Anforderungen nicht bewältigt werden. Da geht es um neue Plattformen in den Städten, aber auch um neue Modelle für die ländlichen Regionen. Dafür ist es notwendig, über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg kooperationsfähig zu sein.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL