TTIP: Nichts zu gewinnen,aber alles zu verlieren?
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RETAIL daniela prugger 22.04.2016

TTIP: Nichts zu gewinnen,aber alles zu verlieren?

An TTIP scheiden sich die Geister – selbst innerhalb der Nahrungs­mittelindustrie gibt es widersprüchliche Positionen.

••• Von Daniela Prugger

WIEN. Man bemühe sich um mehr Transparenz, liest man dieser Tage auf der Homepage der Europäischen Kommission. Die Rede ist vom Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA – dem Trojanischen Pferd, wie das Freihandelsabkommen von seinen Kritikern genannt wird. Mit Fakten-, Informations und Positionspapieren versucht die EU Klarheit in eine Debatte zu bringen, von der die Bevölkerung von Anfang an ausgeschlossen wurde. Das Misstrauen ist groß, die Polemik ebenso. Hormonfleisch, Pestizide, Gentechnik, Konzerne, die profitieren – wirklich objektiv wird weder vonseiten der Bevölkerung noch von Experten diskutiert.

Noch wird über TTIP verhandelt, noch ist nicht aller Tage Abend. Doch das Institut für Höhere Studien (IHS) und die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) präsentieren bereits zum jetzigen Zeitpunkt prognostizierte Folgen – und gießen damit Öl ins Feuer. Die Studie wurde von Spar, Bio Austria, Nöm und Greenpeace in Auftrag gegeben. Dass keines der Unternehmen bzw. keine der Organisationen TTIP-Fan ist, dürfte bekannt sein. Laut Studie werde sich TTIP „leicht negativ” auf die Beschäftigungseffekte für Österreich auswirken. Negativ seien auch die Konsequenzen für Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion. Dort, so die Prognose, könnten kurzfristig etwa 730 Arbeitsplätze verloren gehen – davon circa 100 bedingt durch den von TTIP induzierten Strukturwandel. Langfristig würden sich Arbeitsplatzverluste von ca. 4.670 ergeben (670 bedingt durch TTIP).

Warnung vor Stimmungsmache

„Die Studie”, so Spar-Chef Gerhard Drexel, „beweist nun, was wir seit Langem versuchen aufzuzeigen: Der Feinkostladen Österreich ist tatsächlich bedroht.” Drexel ist ein feuriger TTIP-Gegner und scheut sich nicht, das Kind beim Namen zu nennen. Er warnt vor Hormonen und Chemie, die den Markt fluten, den gentechnisch veränderten Lebensmitteln, die sich in den Regalen der Supermärkte ausbreiten, und schließlich vor dem US-Fleisch, welches das österreichische preislich unterbieten werde. „In den USA werden 90 Prozent des Rindfleischs mit Wachstums­hormonen erzeugt”, so Drexel. Durch die kostengünstigeren Produkte von niedrigerer Qualität könnten Konsumenten dazu verleitet werden, seltener zu heimischen Qualitätsprodukten zu greifen. Der Preis ist schließlich noch immer das entscheidende Kaufargument. „Da nützt es nichts, wenn wir auf unseren hohen Standards bleiben, aber unsere Landwirte und Produzenten nichts mehr verkaufen”, kommentiert der Spar-Chef. Skeptisch zeigen sich bei der Präsentation in Wien auch die restlichen Studien-Auftraggeber. TTIP sei ein „volkswirtschaftliches Nullsummenspiel auf Kosten der Landwirtschaft”, kommentierte etwa Gertraud Grabmann, Obfrau von Bio Austria. Für Bauern und Umwelt gäbe es bei TTIP „nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren”, stimmte Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit ein. Es bestehe ein großes Interesse seitens der USA, die Rahmenbedingungen im Bereich Pflanzenschutzmittel oder Gentechnik zwischen EU und USA anzugleichen – und das nicht zum Positiven, wohlgemerkt.

Verunsicherung in den Medien

Bis zum Jahr 2025 könnte es durch TTIP laut IHS/ÖFSE zu zusätzlichen Marktaustritten von relativ kleineren Landwirtschaftsbetrieben (ca. –590 Betriebe) bzw. Nahrungsmittelunternehmen (ca. –30 Unternehmen) kommen (siehe Grafiken). Auch das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) teilte vor einiger Zeit mit, dass positive Handels-, Wohlfahrts- und Beschäftigungseffekte durch TTIP erst sehr langfristig auftreten werden, „weil die Eliminierung aller Hürden für Handel und Investitionen nur schrittweise erfolgen kann”. Zur Überwindung der gegenwärtigen Krise könne selbst ein umfassendes Handelsabkommen also nichts beitragen.

Vor allem in den europäischen Medien gibt es eine große Verunsicherung, es mangelt an Kenntnissen und Vertrauen. Vor einer voreiligen „Stimmungsmache” gegen TTIP warnt jedoch Nikolaus Morawitz von der Landwirtschaftskammer eindringlich. Die Studie gehe nämlich von Liberalisierungsszenarien aus, die in den Verhandlungen gar nicht zur Debatte stünden und die das Parlament und die bäuerliche Interessenvertretung als ‚rote Linien' definiert hätten.

Marktkonzentration ist gefährlich

„Was wir wirklich brauchen, ist ein Kopierschutz für unsere Lebensmittelspezialitäten”, erklärt LK-Österreich-Präsident Hermann Schultes. Natürlich dürften die Lebensmittelsicherheits- und Umweltstandards nicht gefährdet werden. Doch nicht ein noch immer völlig offenes TTIP-Verhandlungsergebnis stelle aktuell eine Herausforderung für den Strukturwandel in der Landwirtschaft dar, „sondern die starke Konzentration des Lebensmittelhandels – die drei größten Unternehmen teilen sich über 85 Prozent des Markts”, kritisiert Schultes.

Ähnlich unbeeindruckt von den Studienergebnissen bleibt Josef Domschitz, der Vizegeschäftsführer des Verbands der Nahrungs- und Genussmittelindustrie: „Die Studienprognose bezüglich der negativen Beschäftigungseffekte in der österreichischen Agrar- und Lebensmittelwirtschaft durch TTIP ist absolut nicht seriös”, so Domschitz gegenüber medianet. Herr Drexel/Spar gehe davon aus, dass es mit TTIP zu einem Überangebot an „gesundheitsschädlichen” US-Produkten in Österreich kommen werde. Diese seien jedoch nicht verkehrsfähig in Österreich. „Die aktuell vorherrschenden Marktstrukturen in Österreich mit einer hohen Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, einem enormen Preis- und Marktdruck für alle Lieferanten, die durch die Auswirkungen der Ukraine-Russland-Krise noch zusätzlich verschärft werden, sind präsent und haben weit umfangreichere Auswirkungen auf unsere Strukturen und zwar derzeit und leider auch in Zukunft”, kommentiert er. „Schon jetzt TTIP dafür verantwortlich zu machen, halte ich persönlich für äußerst fahrlässig.” Man könne TTIP nicht für eine Strukturveränderung beschuldigen, die seit Jahren im Gange sei: Im Agrarbereich habe Österreich im Jahr 2010 insgesamt 173.317 Betriebe gezählt, im Jahr 2013 waren es 166.317 – ein Rückgang von insgesamt 7.000 Betrieben, ganz ohne TTIP ...

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