Warum dem Schnitzelland eine Portion Rohkost nicht schadet
RETAIL daniela prugger 13.02.2015

Warum dem Schnitzelland eine Portion Rohkost nicht schadet

BioWerkstatt Ein hauptsächlich österreichisches Sortiment, 100% bio, darunter Produkte von Sonnentor, Zotter und Joseph Brot vom Pheinsten

Autorin Michaela Russmann über vegane Ernährung und die gesellschaftlichen Herausforderungen für den Lebensmittelhandel.

Wien. Wer die BioWerkstatt in der Biberstraße 22 im ersten Wiener Gemeindebezirk betritt, fühlt sich ein bisschen wie in Skandinavien: Wiener Altbau trifft auf schwedischen Landhaus-Stil, das Interieur im schlichten, fast dezenten Design, das sich auf den zweiten Blick doch als raffiniert entpuppt; alles wirkt sehr cool und doch herzlich-familiär. Die BioWerkstatt lässt sich wohl am besten als eine Mischung aus Marktplatz, Nischen-Supermarkt und Imbiss beschreiben. Man findet hier Produkte von Sonnentor, Zotter und Joseph Brot vom Pheinsten. Die Regale sind nicht vollgepackt, wie in herkömmlichen Supermärkten üblich. Und es gibt noch eine Besonderheit: Viele der Speisen für den Mittagstisch sind roh.

Ökologie trifft Soziologie

Das notwendige Know-how für Kochen, Konzept und Geschäfts-philosophie bringen die beiden Gründerinnen Michaela Russmann und Sandra Kirch mit: Kirch studierte Ökologie, Russmann Soziologie. 80 bis 100 Personen besuchen das Lokal täglich zur Mittagszeit, 90 Prozent sind Stammkunden. Der Standort sei gut wegen der umliegenden Büros, aber hierhin „verirren” würde sich keiner. „Wir haben uns an die Kundschaft, die zu uns kommt, angepasst. Was wir nicht haben, ist Laufkundschaft”, so Geschäftsführerin Russmann und erklärt, warum die BioWerkstatt nur von Montag bis Freitag geöffnet hat: „Es ist hier einfach alles leer am Wochenende.”Das Angebot, welches sich auf der 110 m2 großen Verkaufsfläche erstreckt, umfasst ein hauptsächlich österreichisches Sortiment aus 100% biologischer Herkunft, darunter eine große Auswahl an täglich frischem Obst und Gemüse, Brot sowie diversen Käsesorten. „Alles, was wir anbieten, haben wir selber probiert”, verspricht Russmann, die auch Workshops, Seminare und Coachings anbietet.

42 Grad, nicht heißer

In ihren Büchern verfolgt die Autorin das Prinzip der Einfachheit, wie sie es selber nennt: Die Zubereitung soll nicht allzu lange dauern, keine außergewöhnlichen Zutaten und Hightech-Küchengeräte erfordern. Das neueste Russmannsche Buch mit dem Titel „Rohgenuss” gibt sich ganz den vier Jahreszeiten hin und zeigt, dass Rohkost mehr kann als Karotten-Sticks. Doch warum überhaupt roh? Schließlich sehen sich die meisten Menschen vor allem während der Winterzeit nach Wärme – von außen wie von innen. Dazu fällt einem viel ein, aber nicht unbedingt Rohkost. Dass das Wort „furchtbar” klingt, gibt Russmann selber zu. Doch im Gegensatz zu Gerichten, die über 42 Grad erhitzt werden, bleiben die Vitamine bei Rohkost vollständig erhalten. Realistischerweise müsse man aber auch sagen, dass Österreich ein Schnitzelland sei – diesen Status werden weder Vegan noch Rohkost je erreichen. Hungrig steht man vom Rohkost-Tisch nicht auf , versichert die Expertin. „Rohkost sättigt wunderbar, weil man eben nicht nur beim Salat bleibt oder beim Obstteller. Und gerade das Kreative ist mir ja auch wichtig – das Auge isst mit.” Nur Salat essen, das sei nicht das Richtige für den Körper. Klar. Sich selber ernährt Russmann schon länger vegan und versichert auch gleich allen, die an der Umsetzbarkeit des veganen Lebensstils zweifeln: „Da kommt man mit der Zeit rein. Außerdem gibt es mittlerweile bei jedem Bäcker etwas Veganes, man muss sich nur ein wenig umschauen.”

„Man wird auch satt davon”

„Vegan” ist für Russmann vor allem ein Umdenkprozess, jede Ernährungsform sei letztlich auch Gewohnheitssache – und dass die Angst vor dem „Tofu-Monster” unbegründet sei, habe man mittlerweile – davon ist sie überzeugt – auch in den letzten Winkeln der Peripherie verstanden. Trotzdem müsse man sich nicht auf Fleischersatzprodukte stürzen – „es gibt eine wahnsinnig gute Gemüseküche”. Und dieses Gemüse muss bei Russmann regional, saisonal, bio sein. Prinzipien, die sich viele Händler auf die Fahne schreiben, in der BioWerkstatt sind sie gelebte Realität. „Essen bedeutet für mich vor allem Genuss. Aber der zweite wichtige Faktor ist Gesundheit”, kommentiert die Expertin.Nahrungsmittel, die Russmann nicht bei sich bekommt, kauft sie eben in anderen Bioläden ein. Man muss nicht immer alles und von allem viel haben. „Wir sind nicht vollgepackt, sondern wollen den Kunden sozusagen erziehen, dass das letzte Päckchen im Regal auch ein Frisches ist. Wir haben auch kein Lager, deshalb bleibt auch nichts übrig.” Vor allem gegen die für den österreichischen Lebensmittelhandel typischen Multipackaktionen (z.B.:1+1 Gratis) hat Russmann etwas – diese würden nämlich eines begünstigen: die Lebensmittelverschwendung.

Keine leeren Worte

Mit der BioWerkstatt will Russmann mit gutem Beispiel vorangehen und gründete 2013 den ersten „FairTeiler” Österreichs in Kooperation mit der Wiener Tafel und dem Lebensministerium. Im öffentlich zugänglichen Ku?hlraum können Privatpersonen Lebensmittel lagern, die sie nicht mehr brauchen, sie stellen die Infos ins Netz und wer will, holt das Essen kostenlos ab. „Wichtig ist aber auch, zu verstehen, dass man mit den Resten, die man daheim hat, noch etwas anfangen kann. Aber nein – man versteht unter Kochen jetzt tatsächlich auch Fertignahrung.” Die Verführung zum Ungesunden und zum Überfluss lastet Russmann vor allem der Werbung an. Der Handel und die Hersteller haben die Macht, das werde auch weiterhin so bleiben, glaubt die studierte Soziologin. Aber „ungesunde Dinge, die nur aus Zucker bestehen, wie so mancher Smoothie, sollen nicht als gesund verkauft werden dürfen. Da sollte etwas von der politischen Seite her passieren.” Trotzdem bemerkt Russmann auch, dass sich ein neues Bewusstsein für Qualität, Gesundheit und Bewegung vor allem bei den jungen Menschen breitmacht. „Biologisch und natürlich gelten heute nicht mehr als spießig oder haben diesen grünen Schimmer von früher.” In Wien merke man das auch an der relativ großen Anzahl an Fastfood-Anbietern, die in der veganen Küche verankert sind und auf natürliche und biologische Zutaten achten. „Auch so kann Fast Food aussehen.”

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